Bei kleinen Kindern lässt sich der Innenrotationsgang, auch als "Gehen über den großen Onkel" bekannt, beobachten. Normalisiert sich diese Gangart jedoch nicht bis zum fünften Lebensjahr, können schwere Langzeitschäden die Folge sein, weshalb eine Behandlung nötig ist.
Jeder Mensch hat seinen ganz eigenen Gang. „Schlurfen“, „Watschelgang“ oder „über den großen Onkel gehen“ sind nur einige umgangssprachliche Bezeichnungen für Gangarten, die einen Menschen ausmachen können.
Die meisten Menschen, die eine dieser Bezeichnungen zu hören bekommen, bewegen sich jedoch trotz der Vielfalt im Normbereich der Gangvielfalt. Auch unverwechselbar ist der typische Gang kleiner Kinder, wenn sie die Beine nach innen drehen (=Innenrotation) und im sogenannten Innenrotationsgang, umgangssprachlich „über den großen Onkel“, gehen.
Die Zehen zeigen dann typischerweise beim Gehen zueinander. Kinder sehen dadurch sehr niedlich aus und bis zum vierten Lebensjahr ist dies auch völlig in Ordnung und normal, wenn das Kind dabei eine normale Hüftentwicklung aufweist. Diese frühkindliche Form des Innenrotationsganges bei Kindern ist vollkommen harmlos und bildet sich in der Regel spontan und ohne ärztliche Intervention vollständig zurück.
Erst wenn ein gesundes Kind nach dem vierten Lebensjahr dieses Gangbild beibehält besteht Abklärungsbedarf, denn erst dann handelt es sich um ein Krankheitsbild, welches bereits zur Ausbildung verschiedener langfristig ungünstiger Folgeschäden führen kann, die mit Spätschäden, wie chronischer Schmerzen und verfrühtem Gelenkverschleiß (Arthrose) einhergehen.
Selbst wenn Kinder diese "magische Altersschwelle" überschritten haben, verschwindet das Gangbild bei 90% der Kinder jedoch von ganz alleine, spätestens wenn sie ausgewachsen sind und es wird keine Behandlung erforderlich.
Sollte jedoch eine organische Ursache, wie zum Beispiel die Hüftgelenksdysplasie, vorliegen, sollte diese entsprechend behandelt werden, um weitere mit dem Krankheitsbild assoziierten Spätschäden zu vermeiden.
Die Ursachen des Innenrotationsganges sind vielfältig. Häufigster Grund ist eine nach vorne gedrehte Hüftpfanne (Coxa antetorta). Die Hüftpfanne (lat: Acetabulum) bildet die Höhle im Beckenknochen, die den Hüftkopf umschließt und in der er sich wie ein Kugelgelenk bewegen kann.
Das Hüftgelenk verbindet den Körperstamm mit den Beinen. Hier findet durch viele Knochen, Muskeln und Gelenke die Kraftübertragung statt und ermöglicht erst die optimale Stabilität des Ganges. Störungen in diesem Bereich beeinträchtigen die Statik des gesamten Körpers.
Liegt diese Höhle im Beckenknochen nun zu weit vorne, wie dies bei der Coxa antetorta der Fall ist (Coxa= Hüfte; ante = vorne), verändert sich die Lage des gesamten Beines im Bezug zum Körper. Durch die vordere Lage passen Oberschenkelkopf und Hüftgelenkspfanne nicht mehr optimal zueinander solange die Beine gerade stehen und Kniescheibe und Füße parallel stehen, wie es normalerweise der Fall ist.
Um einwandfrei als Kugellager zu funktionieren, muss das Kind das Bein nach innen drehen um die optimale Position des Oberschenkelkopfes in der Pfanne zu erreichen. Äußerlich kommt es zum Innenrotationsgang des Kindes, sichtbar durch das zueinander Zeigen von Kniescheiben und Füßen.
Eine weitere Ursache ist die angeborene Hüftgelenksfehlstellung, die sog. Hüftdysplasie. Hierbei werden die Hüftpfannen in der Entwicklung des Kindes nicht richtig angelegt und das Kugelgelenk kann nicht in seiner optimalen Form ausgebildet werden.
Der Kopf des Oberschenkelknochens kann in der Maximalvariante überhaupt nicht in sein Gegenstück, die Hüftpfanne, hineinragen und sich dort bewegen und befindet sich sogar außerhalb des Gelenks. Die Säuglinge fallen schon früh auf, da sie die Beine nicht abspreizen können und die Falten in der Leisten verschieden aussehen.
Oft kommt diese Störung familiär gehäuft vor und kann durch eine Ultraschalluntersuchung schon früh diagnostiziert werden und durch Schienen behandelt werden. Diese pressen den Oberschenkelkopf an das Becken an sodass sich dort im Laufe der Zeit eine passenden Höhle ausbildet.
Diese Höhle bildet sich oftmals auch nicht an der optimalen Stelle im Becken und es resultiert auch hier aus der Drehung des ganzen Beines das Bild des Innenrotationsganges.
Wenn nicht die Hüfte Schuld am Gehen über den großen Onkel ist, kommt auch noch das Bein selbst als „Übeltäter“ in Frage. Die Hüfte und der Oberschenkel können völlig gesund sein, es kann jedoch der Unterschenkel unterhalb des Kniegelenks gedreht sein und auch dann laufen die Kinder im Innenrotationsgang.
Auch Brüche (=Frakturen) können verdreht wieder zusammenwachsen und so das Bein in die Rotationsstellung zwingen. Hierbei entsteht dann eher der einseitige Innenrotationsgang.
Seltenere Ursachen für den angeborenen Innenrotationsgang sind der Klumpfuß oder der Hohlfuß.
Hierbei sind Hüfte, Ober- und Unterschenkel des Kindes völlig gesund. Die Ursache liegt in der Verformung des Fußes selbst.
Hier greifen daher auch völlig andere Therapieformen als bei den hüftbedingten Innenrotationsfehlstellungen, welche an dieser Stelle nicht näher erläutert werden sollen.
Auch Lähmungen durch verschiedene Hirnschädigungen können typischerweise mit dem Innenrotationsgang einhergehen und werden im Zuge der sehr intensiven Physiotherapie meist mitbehandelt.
Muskel, Bänder und Sehnen passen sich auf Dauer dieser Veränderung an und verlieren an Funktion. Das Becken kann nun nur schlecht stabilisiert werden und die Kraftübertragung zwischen Körperstamm und Beinen kann nicht mehr effektiv ausgeführt werden.
Im Langzeitverlauf macht sich dieser Zustand durch Schmerzen und oftmals durch eine frühe Arthrose (=Gelenkverschleiß) bemerkbar. Auch das restliche Skelett leidet unter diesem Zustand. Durch die Veränderung im Becken verändern sich auch Druck und Belastung der Wirbelsäule.
Die Kinder entwickeln eine übermäßige Einbiegung der Wirbelsäule im unteren Rücken (Hyperlordose). Durch diese Haltung der Wirbelsäule wird versucht die veränderte Statik des Beckens auszugleichen. Dies führt jedoch auch zu Folgeschäden wie Rückenschmerzen, frühen Bandscheibenvorfällen oder verfrühtem Verschleiß der Wirbelkörper und ihrer Gelenke.
Weiterhin sind die Knie anderen Belastungen ausgesetzt, da auch sie nun an anderen Stellen belastet werden als üblich bei normaler Beinstellung. Frühe Abnutzung durch falsche Belastung können auch hier wie bei der Wirbelsäule und dem Hüftgelenk die Folge sein (=Kniegelenksarthrose).
Die Therapie des über die Pubertät hinaus bleibenden Innenrotationsgangs bewahrt viele Menschen vor späteren Problemen wie Schmerzen, Arthrose und evtl. einem Hüftgelenkersatz.
Auch etwaige Folgen für Knie und Wirbelsäule und das restliche Skelettsystem können durch einfache Mittel verhindert werden. Nur in sehr seltenen Extremfällen kann eine Operation nötig sein.
Bei dieser Operation wird der Oberschenkel gebrochen und in gedrehter normaler paralleler Beinposition wieder fixiert und das Hüftgelenk selbst in seiner Position belassen.
Steht die Diagnose des behandlungsbedürftigen Innenrotationsganges, so kann zum einen eine Physiotherapie und zum anderen die Benutzung spezieller Absätze, sogenannter Torqheel-Absätze Heilung bringen.
Diese speziellen Absätze werden unter der Ferse des Kindes positioniert, entweder im Schuh oder unter der Sohle. So wird die Beinachse korrigiert und die nach innen gedrehte Stellung begradigt. Bereits nach einem halben Jahr Behandlung können tolle Erfolge erzielt werden bzw. das Gangbild völlig normalisiert werden.
Die Physiotherapie ist ebenfalls eine sinnvolle Therapiemethode.
Die Indikationsstellung einer physiotherapeutischen Behandlung sollte immer individuell je nach Ursache für den Innenrotationgang gestellt werden. Die Physiotherapie ist gerade in Kombination mit Torqheel-Absätzen von Bedeutung, wenn die Fehlstellungsursache beispielsweise in einer Coxa antetorta (=nach vorne gedrehte Hüftpfanne) liegt.
Auch bei einer Hüftdysplasie als Grund für einen Innenrotationsgang kann die Physiotherapie als begleitende Maßnahme zu orthopädischen Mitteln wie einem Spreizhöschen hilfreich sein.
In schwerwiegenden Fällen kann eine operative Versorgung eines Innenrotationsganges notwendig sein. Dann ist die Physiotherapie fester Bestandteil des postoperativen Therapieschemas.
Insgesamt ist der Stellenwert der Physiotherapie in der Therapie eines Innenrotationsganges bei Kindern hoch.
Einlagen sind in der Behandlung des Innenrotationsganges nicht vorgesehen. Da es sich bei dem Innenrotationsgang bei Kindern um einen Fehler im Gangbild mit einer sehr hohen Spontankorrekturrate handelt, sollte generell zuerst einmal zurückhaltend therapiert werden. Nicht selten bildet sich der Innenrotationsgang bei Kindern nämlich nach der Pubertät zurück.
Selbst wenn dies nicht der Fall sein sollte, macht das Tragen orthopädietechnische Maßnahme wie einer Einlage wenig Sinn. Das liegt daran, dass die Ursache meist eine fehlerhafte Stellung des Hüftgelenkes, genauer gesagt einem vergrößerten Oberschenkelhalswinkel, ist. Bei Korrektur der Beinstellung wäre dann der Hüftkopf nicht ausreichend von der Hüftpfanne umfasst. Daraus können weitere Beschwerden resultieren, sodass man Kindern mit dem Tragen von Einlagen bei einem Innenrotationsgang nicht geholfen hat.
Sinnvoll ist allerdings eine Einlage nach Pomarino, eine korrigierende Rotationseinlage. Hierbei handelt es sich allerdings nicht um eine herkömmliche Einlage. Sie ist eine modifizierte Form der Torqheel-Absätze: Die Absätze sind dann nicht wie eigentlich unter dem Schuh angebracht sondern im Schuh in der Einlage verarbeitet.
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