NMO-SD sind chronisch-entzündliche Erkrankungen des zentralen Nervensystems, die vor allem den Sehnerven und das Rückenmark betreffen. Eine wichtige Diffferentialdiagnose ist die Multiple Sklerose.
Die Neuromyelitis-optica-Spektrum-Erkrankungen (kurz NMO-SD) bezeichnen eine Gruppe seltener Erkrankungen, die mit entzündlichen Prozessen vor allem des Sehnerven und des Rückenmarks bzw. Hirnstamms einhergehen. Die NMO-SD verlaufen in der Regel schubförmig und ähneln der Multiplen Sklerose, sind jedoch von dieser abzugrenzen.
Die meisten Erkrankungen der NMO-SD äußern sich mit schweren Attacken von Blindheit, Lähmungen, Missempfindungen und vielen weiteren möglichen neurologischen Störungen. Weiterhin leiden betroffene oft auch unter anderen systemischen Autoimmun-Erkrankungen wie systemischem Lupus erythematodes oder Myasthenia gravis.
NMO-SD steht für Neuromyelitis-optica-spectrum-disorders, und fasst eine Gruppe von Erkrankungen zusammen, bei denen es zu schubförmigen chronischen Entzündungen hauptsächlich im Bereich des Sehnerven und des Rückenmarks kommt. Ursprünglich ging man von einer einheitlichen Krankheit aus und nannte diese Neuromyelitis optica, kurz NMO oder Devic-Syndrom. Noch heute ist die (ursprüngliche) NMO ein wichtiger Vertreter der NMO-SD, allerdings gibt es auch andere Krankheiten, die zur Gruppe der NMO-SD gezählt werden müssen. Bei den meisten NMO-SD-Formen kommt es zur Produktion von Antikörpern gegen das Protein Aquaporin 4 (AQP4).
Die NMO-SD lässt sich also einteilen in:
AQP4-seropositive NMO-SD (mit AQP4-Antikörpern)
AQP4-seronegative NMO-SD (ohne AQP4-Antikörper)
Bei letzterer Form können in einigen Fällen weiterhin Anktikörper gegen das sogenannte Myelin-Oligodendrozyten-Glykoprotein (MOG) nachgewiesen werden.
Gesagt sei jedoch, dass die Einteilung der NMO(-SD) eine bewegte Geschichte hat. Ging man ursprünglich von einer einheitlichen Erkrankung, der NMO, aus, wurde sie zwischenzeitlich gar nicht mehr als eigenständige Erkrankung angesehen sondern als Form der Multiplen Sklerose. Heute lassen sich die NMO-SD dank Antikörper-Nachweis klar von anderen chronisch-entzündlichen ZNS-Erkrankungen abgrenzen, allerdings ist auch diese Einteilung nicht abschließend.
Die eigentliche Ursache der NMO-SD ist bis heute nicht bekannt.
Es kommt aus unbekannten Gründen in ca. 70% der NMO-SD zu einer autoimmunen Antikörperproduktion gegen sogenannte Aquaporine (genauer AQP4). Aquaporine sind Kanalproteine für Wasser und kommen im ganzen Körper vor. Das AQP4 findet sich vor allem in Astrozyten, das sind Gliazellen, welche eine wichtige Rolle bei der Ausbildung der Blut-Hirn-Schranke spielen. Diese Zellen werden nun über komplexe Immunreaktionen angegriffen und es kommt zur Schädigung der Blut-Hirn-Schranke, die das Gehirn eigentlich vor äußeren schädigenden Einflüssen wie durch Toxine oder eben das Immunsystem schützen soll. Hierdurch können nun auch Immunzellen wie Granulozyten oder Makrophagen ins zentrale Nervensystem gelangen und dort massive Schäden anrichten (Demyelinisierung und Axon-Schäden).
Die ursprüngliche Ursache für diesen massiven Angriff des Immunsystems ist wie bei allen Autoimmunerkrankungen nicht vollständig geklärt und Gegenstand aktueller Forschung.
Folge dieser Immunreaktion sind schwere, teils irreversible Zerstörungen des zentralen Nervensystems, die dann zu den unten genannten Symptomen und oftmals schweren Behinderungen führen.
Die NMO-SD ähneln in der Symptomatik der Multiplen Sklerose. Sie verlaufen in 90% der Fälle in mehreren Schüben, nur sehr selten findet nur ein einzelner Schub statt. Betroffen ist ausschließlich das zentrale Nervensystem (Gehirn inklusive Sehnerv und Rückenmark), hiersind aber prinzipiell alle Bereiche mögliche Ziele. Im Folgenden sind die häufigsten Symptome unterteilt nach Lokalisation aufgeführt.
Eine Sehnerventzündung ist typisch für die NMO-SD, sie kann ein- oder beidseitig auftreten, im letzteren Fall ist sie sehr stark hinweisend auf eine NMO-SD (statt auf eine MS). Typische Symptome dieser Nervenentzüdnung sind vor allem Minderung der Sehrkraft bis zur Blindheit, Schmerzen bei Augenbewegung und Verschlechterung des Farbsehens.
Mehr erfahren Sie in unserem Artikel zur Sehnerventzündung
Auch das Rückenmark ist bei den NMO-SD eigentlich immer betroffen. Typisch ist ein langstreckiger Verlauf, es kommt hierbei zu oft sehr schweren Querschnittssyndromen. Dabei hängen die Symptome von dem jeweiligen Ort der Schädigung ab, häufig treten Lähmungen beider Beine (Paraparese) oder sogar aller vier Extremitäten (Tetraparese) mit Symptomen einer Spastik. Auch Inkontinenz und Empfindungsstörungen bis zur kompletten Taubheit sind keine Seltenheit.
Betrifft die Entzündung das Gehirn selbst, so sind je nach Lokalisation im Grunde alle neurologischen Störungen möglich. Diese reichen von motorischen Störungen sowie Sprach- und Sprechsörungen bis zu epileptischen Anfällen oder Atemlähmungen.
Ist beispielsweise das Zwischenhirn (Diencephalon) betroffen, so kann es auch zu Temperatur-Regulationsstörungen oder zur Narkolepsie kommen.
Relativ typisch ist auch das Area-Postrema-Syndrom: Die Area postrema ist das “Brechzentrum” im Gehirn und evolutionär wohl eigentlich dafür da, im Falle von Vergiftungen den Körper schnell von schädlichen Einflüssen zu befreien. Kommt es, zum Beispiel im Rahmen entzündlicher Erkrankungen wie den NMO-SD, zu einer Störung dieses Hirnareals, so sind Schluckauf, Übelkeit und heftiges, rezidivierendes Erbrechen die Folge.
Hinweis: Die Diagnostik der NMO-SD ist sehr komplex. Sie wird hier daher nur verkürzt dargestellt.
Der Verdacht einer NMO-SD entsteht zunächst aufgrund der Symptomatik. Typisch sind eine Entzündung des Sehnerven mit Schmerzen hinter dem Auge und Sehstörungen, außerdem hochgradige spastische Lähmungen, Blasen- und Mastdarmstörungen aufgrund eines Querschnittsyndroms.
Die nächste Stufe ist der Ausschluss wichtiger Differentialdiagnosen, insbesondere der Multiplen Sklerose (siehe Abschnitt “Wie unterscheiden sich die NMO-SD von der Multiplen Sklerose?”). Hierzu sind viele Untersuchungen notwendig, insbesondere ein MRT des Schädels und Rückenmarks, Liquorpunktion und Blutuntersuchung. Gerade im MRT zeigen sich typische Läsionen, die sich von denen bei der MS unterscheiden.
Außerdem wegweisend ist die Antikörperdiagnostik: Lassen sich Anti-AQP4-Antikörper oder Anti-MOG-Antikörper im Blut nachweisen ist dies ein starker Hinweis auf eine NMO-SD.
Die letzte Diagnostische Stufe ist die Anwendung der NMO-SD Diagnosekriterien des International Panel for NMO Diagnosis (IPND). Bei AQP4-Antikörper-Nachweis müssen sämtliche der folgenden Kriterien erfüllt sein:
mind. ein sogenanntes Kardinalsymptom (z.B. Retrobulbärneuritis)
Ausschluss von Differentialdiagnosen, insb. der MS
Nachweis von Anti-AQP4-IgG
Werden keine Anti-APQ4-Antikörper nachgewiesen gibt es weitere Kriterien, die jedoch den Rahmen dieses Artikels sprengen würden.
Die NMO-SD wurden lange Zeit als Unterform der Multiplen Sklerose eingestuft, bis sie zunächst als NMO und schließlich als NMO-SD als eigenständige Krankheit angesehen wurden. Dennoch ähneln sie der MS in vielen Punkten, daher ist diese auch die wichtigste Differentialdiagnose.
Zwar verlaufen beide Krankheiten meist schubförmig, die MS kann allerdings auch chronisch fortschreiten (also kontinuierlich), was bei den NMO-SD niemals der Fall ist. Auch sind die Schübe selbst bei den NMO-SD meist viel dramatischer im Verlauf, nicht selten kommt es schon nach kurzer zu kompletten Querschnittslähmungen und hochgradigen Sehminderungen bis zur Blindheit. Bei der MS ist dies zwar ebenso möglich, in der Regel aber erst im späteren Verlauf.
Die Sehnerventzündung ist bei der MS meist einseitig, bei den NMO-SD kann sie auch auf beiden Seiten gleichzeitig auftreten.
Weitere Unterschiede betreffen vor allem die MRT- und Liquordiagnostik sowie den Antikörper-Status. So beschränken sich die NMO-SD-Läsionen im MRT zwar hauptsächlich auf Sehnerv und Rückenmark, sind dafür aber ausgeprägter und langstreckiger. Bei der MS sind sie zwar verteilter und betreffen regelhaft auch das Gehirn, jedoch sind die Läsionen vergleichsweise klein.
Antikörper sind bei der MS nicht bekannt, bei den NMO-SD gehören sie (AQP4-Antikörper) zurDiagnose.
Lesen Sie hier mehr zur Multiplen Sklerose
Bei der Behandlung der NMO-SD unterscheidet man zwischen akuter Schubtherapie und Intervalltherapie, sie ähnelt stark der Behandlung der multiplen Sklerose.
Die Schubtherapie dient der akuten Behandlung eines Schubes. Genutzt wird hierfür hochdosiertes Methylprednisolon (1000 mg/d), ein sehr potentes Cortison, das über 5 Tage in die Vene injiziert wird. Falls diese Therapie nicht ausreicht, können zunächst auch noch höhere Dosen gegeben werden, dies wird als Eskalationstherapie bezeichnet.
Die intensive Gabe von Methylprednisolon kann zahlreiche Nebenwirkungen haben, so dass begleitetend weitere Maßnahmen ergriffen werden müssen, hierzu gehören insbesondere die stationäre Aufnahme sowie die Gabe eines Magenschutzes (z.B. Pantoprazol).
Wenn bereits bekannt ist, dass die Glucocorticoid-Therapie nicht ausreichend hilft, so kann alternativ eine sogenannte Plasmaseparation durchgeführt werden. Die beiden möglichen Verfahren hierfür heißen Plasmapherese und Immunadsorption, sie können nur stationär und mit den entsprechenden technischen Möglichkeiten durchgeführt werden. Beide Verfahren bedeuten außerdem eine hohe Belastung, insbesondere die Kreislaufbelastung steht im Vordergrund. Die Plasmaseperation wird in 5-7 Zyklen mit je einem freien Tag zwischen den Zyklen durchgeführt, die Dauer beträgt also bis zu 2 Wochen.
Für die Therapie zwischen den Schüben steht die Intervalltherapie zur Verfügung, diese ist vergleichbar mit der Basistherapie bei der Multiplen Sklerose, jedoch werden hier andere Wirkstoffe genutzt, da die “MS-Medikamente” bei den NMO-SD nicht wirksam sind.. Bei den NMO-SD werden in erster Linie Immunsuppressiva eingesetzt, allen voran der monoklonale Antikörper Rituximab. Dieser richtet sich selektiv gegen ein Oberflächenprotein der B-Zellen (CD20), die Antikörper-produzierenden Zellen des Immunsystems. Weitere eingesetzte Immunsupressiva sind beispielsweise Azathioprin, Mycophenolatmofetil, Methotrexat oder Ciclosporin. Die Auswahl des individuell geeigneten Medikamentes ist von vielen Faktoren abhängig und kann in diesem Rahmen nicht besprochen werden.
Die NMO-SD ist eine sehr schwere entzündliche Erkrankung des zentralen Nervensystems. Zwar verläuft sie in Schüben, jedoch bilden sich die Symptome oft nicht vollständig zurück, dies gilt insbesondere für die namensgebenden Entzündungen Myelitis und Optikusneuritis. Auch der Grad der Behinderung, zum Beispiel durch spastische Lähmungen, nimmt in der Regel schneller zu als bei der MS. Viele Patienten versterben letztlich an einer Lähmung der Atemmuskulatur.
Eine frühe Diagnose sowie eine adäquate Therapie der NMO-SD ist daher sehr entscheidend. Die NMO-SD sind jedoch nicht heilbar! Sie führen auch bei adäquater Behandlung leider zu schweren Behinderungen, da sie die Symptome und Beeinträchtigungen der Schübe meist nicht mehr vollständig zurückbilden. Insbesondere durch eine Lähmung der Atemmuskulatur enden die Krankheiten oft tödlich.