Das Angioödem (Schwellung des Gefäßes) oder auch Quincke-Ödem genannt, ist eine plötzlich auftretende Schwellung der Haut und des Unterhautgewebes, die z.T. mehrere Tage anhält. Relativ ungefährlich sind Schwellungen an der Lippe, der Zunge und am Auge. Eine Schwellung der Glottis (der stimmbildende Teil des Kehlkopfes) kann hingegen lebensgefährlich sein.
Man unterscheidet nicht-allergische und allergische Ursachen. Erstere können vererbt werden (sog. hereditäres Angioödem), durch Medikamente verursacht sein oder durch sogenannte lymphoproliferative Erkrankungen bedingt sein. Auch eine idiopathische Form ist bekannt, d.h. der Auslöser hierfür ist nicht bekannt.
Allen Ödemformen liegt der gleiche Mechanismus zugrunde:
Flüssigkeit tritt aufgrund eines krankhaften Prozesses aus dem Gefäßsystem in den interstitiellen Raum. Der interstitielle Raum beschreibt ein Zwischenraum, welcher zwischen verschiedenen Zellarten liegt.
Beim allergischen Angioödem ist hierfür der Stoff Histamin verantwortlich, der bei einer allergischen Reaktion von den Mastzellen des Immunsystems ausgeschüttet wird. Histamin verändert die Durchlässigkeit des Gefäßsystems und erlaubt den wässrigen Bestandteilen des Blutes in den Bindegewebsraum überzutreten.
Derselbe Mechanismus liegt zum Beispiel vor, wenn man als allergische Reaktion „Quaddeln“ (sog. Urtikaria) entwickelt.
Beim Nicht-Allergischen Angioödem werden keine Urtikaria entwickelt. Am häufigsten wird diese Form durch Medikamente wie ACE-Hemmer (gegen Bluthochdruck) verursacht, seltener durch AT-1-Blocker (gegen Bluthochdruck) und Aspirin (ASS, zum Beispiel nach einem Herzinfarkt).
Die beiden anderen Formen (hereditär und erworben) sind seltener. Das erworbene Angioödem tritt durch lymphoproliferative Erkrankungen nach Transplantation von Organen auf. Die hereditäre (vererbbare) Form entsteht durch einen Enzymmangel am C1-Esterase-Inhibitor-Enzym. In dem Mechanismus ist das Eiweiß Bradykinin involviert, das normalerweise eine Gefäßöffnung im Rahmen von Entzündungen vermittelt und einen Übertritt von Wasser aus dem Blut ins umliegende Gewebe begünstigt.
Das klassische Angioödem geht typischerweise mit einem generalisierten Juckreiz und Spannungsgefühlen der Haut einher. Je nachdem, welche weiteren Körperpartien betroffen sind, kann ein Anschwellen des Bindegewebes unspezifische Symptome hervorrufen.
Zum Beispiel kann es bei einem hereditären Angioödem zu Schmerzen oder Verdauungsstörungen kommen, da sich Ödeme im Magendarmtrakt bilden können. Dabei handelt es sich aber eher um eine seltene Beschwerdesymptomatik.
Naheliegender wären Beschwerden aus dem allergischen Formenkreis. Hierbei entspannen sich die Gefäße in unserem Körper und weiten sich. Durch die Gefäßerweiterung kann es zu einem pötzlichen Abfall des zentral venösen Drucks kommen. Der Blutdruck sinkt so stark ab, dass man dadurch ohnmächtig werden kann (sog. hypotonischen Synkope). Dem vorausgehen können Beschwerden wie Unwohlsein, Schwindel, Schwitzen, Herzrasen und „weiche Knie“.
Wie jede allergische Reaktion kann dies überschießend sein und in einem allergischen Schock münden.
Ein unbehandeltes Angioödem, vielleicht kombiniert mit Ödemen durch andere Krankheiten, zum Beispiel Rechtsherzinsuffizienz, kann zu wässrigen Spannungsblasen der Haut führen oder auch andere Hautveränderungen hervorrufen.
Die Diagnose eines Angioödem erfolgt klinisch, d.h. anhand der Beschwerden und durch zielgerichtete Inspektion und Befragung durch den Arzt.
Bei bekannten ähnlichen Fällen in der Familie kann eine genetische Untersuchung auf einen C1-Esterase-Inhibition-Mangel als weiterführende Diagnostik in Erwägung gezogen werden.
Ansonsten erfolgt die Diagnose „ex juvantibus“ d.h. durch Heilung. Hierbei wird die Substanz, welche als Auslöser vermutet wird, gemieden. Falls der Patient kein weiteres Ödem mehr entwickelt, kann die Diagnose gesichert werden.
Die Behandlung richtet sich nach Ursache:
Angioödeme, die durch ein bestimmes Medikament ausgelöst werden, können dadurch kuriert werden, dass entsprechendes Medikament abgesetzt wird.
Beim allergischen Angioödem zeigen Antihistaminika und Glucocorticoide die beste Wirkung, da diese das Immunsystem modulieren. Sowohl die Gefäßpermeabilität, als auch die Entzünungsreaktion kann dadurch herabgesetzt werden.
Antihistaminika und Glucocorticoide werden intravenös injiziert um eine schnelle und weitreichende Wirkung zu erzielen. Bei geringeren allergischen Reaktionen kann auch ein orales Antihistaminikum eingenommen werden, sofern der Schluckakt noch möglich ist.
Das hereditäre Ödem kann wie bereits beschrieben durch eine Enzymsubstitution behandelt werden. Alternativ kann ein Medikament namens Icatibant verwendet werden, ein Bradykinin-Rezeptor-Antagonist. Als Antagonist wirkt es Bradykinin entgegen und blockiert die Rezeptoren, damit Bradykinin nicht mehr dran binden kann. Dadurch wird die gesteigerte Gefäßpermeabilität verhindert und die Flüssigekit bleibt im Gefäß.
Auch ein Enzymsubstitution über Plasmasubstitution kann in Erwägung gezogen werden. Hierfür würde man fresh frozen Plasma verwenden (FFP).
Als Prophlyaxe haben sich Androgene bewährt, die in den Hormonstoffwechsel eingreifen. Ihr Mechanismus im Bezug auf Angioödeme ist bisher nicht geklärt.
Bei einem Glottisödem ist ein intensivmedizinisches Managment zur Sicherstellung der Sauerstoffzufuhr und Atmung von Nöten. Entsprechende Therapie sind intravenöse hochdosierte Glukokortikoide.
Handelt es sich um ein Angioödem, das gleichzeitig mit Luftnot auftritt, sollte schleunigst ein Notarzt gerufen werden.
Ansonsten gehören zum Beispiel Antihistaminika, die man bei einem allergischen Angioödem verabreicht, zu dem Standard-Repertoire einer medizinischen Einrichtung. Auch beim Zahnarzt kann in Folge applizierter Lokalanästhetika eine allergische Reaktion ausgelöst werden. In diesem Falle müsste der Zahnarzt das Angioödem behandeln.
Der Hausarzt oder der ärztliche Bereitschaftsdienst stellen auch geeignete Anlaufstellen dar.
Treten häufiger Angioödeme auf, bei denen man eine allergische Ursache vermutet, eignet sich der Allergologe, der meist ein Facharzt für Pulmologie (Lungenfacharzt) ist. Besteht die Ödemneigung in der Familie und tritt diese schon seit dem Kindesalter auf, sollte ein Humangenetiker zum Auschluss des beschriebenen Enzymmangels hinzugezogen werden.
Das Angioödem gehört zu einer allgemeinen Nebenwirkung der ACE-Hemmer. Diese Medikamente werden oft gegen Bluthochdruck eingesetzt.
ACE-Hemmer werden aufgrund ihrer Nebenwirkung nach dem Prinzip „Start low, go slow“ eingesetzt. Das bedeutet, dass zunächst eine niedrige Dosierung verschrieben wird. Falls ein Angioödem auftritt, hält sich dieses in Grenzen, da die Dosis gering gewählt wurde.
Bei Auftreten eines Angioödems sollten ACE-Hemmer abgesetzt und durch ein anderes Blutdruckmedikament ersetzt werden. Gegebenenfalls kann eine Behandlung des Ödems nötig sein. Im Allgemeinen genügt es aber, den auslösenden Faktor zu eliminieren.
Lesen Sie mehr hierzu: Nebenwirkungen der ACE-Hemmer.
Das hereditäre Angioödem ist eine Sonderform des herkömmlichen Angioödems (auch Quincke-Ödem), da es sich um eine autosomal-dominant vererbte Krankheit handelt. Betroffene zeigen eine vermehrte Neigung zur Ödementwicklung, dessen Ursache in einem Mangel am C1-Esterease-Inhibitor-Enzym liegt.
Dieses Enzym ist verantwortlich für die Aktivierung eines Bestandteils des Immunsystems und wirkt Bradykinin-vermittelnd. Bradykinin ist ein Peptidhormon, welches an Rezeptoren bindet, die sich im Gefäß befinden. Durch dieses Wirkprinzip werden Gefäße weiter gestellt und die Permeabilität erhöht. Flüssigkeit tritt nun aus dem Gefäß aus und es enstehen Ödeme.
Das Enzym kann komplett fehlen oder nur teilweise eingeschränkt in seiner Funktion sein. Bei einem kompletten Enzymverlust kommt es zu einer übermäßigen Aktivierung des Immunsystems, das die Permeabilität aller Blutgefäße verändert und durchlässiger macht.
Betroffene leiden meist schon in der Kindheit und großflächigen Ödemen, welche vor allem an der Haut lokalisiert sind, aber auch im Magendarmtrakt und in den Atemwegen vorkommen können. Auch kleinste Verletzungen wie Schnitte oder Zahnextraktionen können eine überschießende Immunreaktion zur Folge haben.
Die Ödeme bilden sich nur langsam eigenständig zurück und benötigen eine medikamentöse Therapie. Dies kann zum Beispiel eine Enzymsubstitution oder FFP (fresh frozen plasma mit entsprechenden Enzymen) sein. Auch Androgene, welche in den Kreislauf der Geschlechtshormone eingreifen, wirken über bisher unbekannte Mechanismen und können zum Einsatz kommen.
Informieren Sie sich hier über das Thema: Hereditäres Angioödem.
Je nach Entstehungsmechanismus und Ausbreitung des Ödems, kann ein Angioödem unbehandelt Tage bis Wochen bestehen bleiben.
Bei einem allergischen Ödem kann mithilfe der Akuttherapie von Antihistaminika das Ödem direkt behandelt werden und sollte sich in Kürze, d.h. innerhalb weniger Stunden, zurückbilden. Gleiches gilt für den Einsatz von Glukokortikoide, die äußerst effektiv, als abschwellende Maßnahme sind.
Ein Angioödem kann harmlos bis lebensgefährlich verlaufen.
Relativ harmlos sind singuläre Schwellungen von Augenlidern und Lippen.
Verlegen Schwellungen an der Zunge oder an der Glottis (sog. Stimmritze) die Atemwege können diese lebensgefährlich werden. Eine rasche Sicherstellung der Atemwegszufuhr durch medikamentöse Behandlung oder Intubation oder Tracheotomie sind dann von Nöten. Sobald gleichzeitig die medikamentöse Behandlung eingeleitet wurde, sollte das Angioödem rückläufig sein und sich innerhalb mehrerer Tage bis Wochen zurückbilden.
Positiv beschleunigt werden kann der Krankheitsverlauf zum Beispiel durch pünktliche und korrekte Einnahme verordneter Medikamente oder in schweren Fällen durch die Glukokortikoidgabe über die Vene, da diese so schneller den Wirkort erreichten kann.
Informieren Sie sich mehr zu diesem Thema: Quincke-Ödem.
Die Lippen sind eine bevorzugte Stelle für die Entstehung von Ödemen, weil sie über eine dünne Hautschicht und ein zartes Bindegewebe mit wenigen straffen Kollagenfasern verfügen.
In der Regel schwellen die Lippen nicht so stark an, sodas die orale Passage nicht verlegt wird. Jedoch können massive Schwellung unangenehm werden und unästhetisch erscheinen. Da es sich bei der Haut und Schleimhaut der Lippen um eine schnell regenerierende Zellschichten handelt, sind keine bleibenden Schäden zu erwarten.
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Ein Angioödem im Gesicht ist abgesehen vom ästhetischen Aspekten nicht gefährlicher als andere Ödemformen.
Die Gesichtshaut ist ein Prädilektionsort für die Entstehung von Ödemen, da die Haut und das Unterhautgewebe etwas zarter aufgestellt sind. Beispielsweise befindet sich dort weniger straffes Bindegewebe als in den Beinen oder Füßen. Hinzu kommt, dass die Gesichthaut geringerer mechanischer Belastungen ausgesetzt ist, als die Haut an den Händen.
Darüber hinaus sind die Gesichtshaut und das Unterhautgewebe besonders gut durchblutet. Die Zahl der Blutgefäße ist bei der Ödementstehung von Wichtigkeit und begünstigt diese.
Erfahren Sie hier mehr zum Thema: Schwellung im Gesicht.
Auch das Augenlid ist ein Prädilektionsort für Ödeme aufgrund seiner Anatomie. Gepolstert durch wenig Unterhautfettgewebe sowie mit zartem Bindegewebe versehen, schwillt es eher an als andere Gesichtspartien.
In der Regel schwillt es so stark an, dass das freie Sehen durch ein Auge oder sogar beider Augen verhindert wird. Dieser Umstand birgt natürlich seine eigenen Gefahren bzw. Einschränkungen (z.B. Fahruntüchtigkeit) mit sich und sollte schnellstmöglich behoben werden.
Schwillt ein Auge so sehr an, dass es den Glaskörper (lat. Bulbus) des Auges komprimiert oder den Druck im Auge erhöht, kann es zu einem akuten Glaukomanfall kommen oder Schmerzen hervorrufen.
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Die gefürchtetste Komplikation des Angioödems ist das Glottisödem, also eine Schwellung der Stimmritze. Diese befindet sich in der mittleren Etage des Kehlkopfes und stellt die Öffnung zwischen Mund/Rachenraum und Lunge dar.
Das Glottisödem äußert sich durch plötzliche auftretende Atemnot und Sprechschwierigkeiten, wie eine kloßige oder heisere Sprache.
Eine Schwellung der Zunge kann problematisch werden, da das Sprechen behindert wird und der Speichelabfluss entlang des Rachens verlegt werden kann. Darüber hinaus können Atembeschwerden verursacht werden. Durch die Schwellung der Zunge, vor allem im hinteren Bereich der Zunge, kann der Weg der Luft abgeschnitten werden.
Auch Medikamente können nicht mehr über den Mund aufgenommen werden, sondern müssen über die Vene appliziert werden.
Es gibt verschiedene Medikamente, die zur Kurzzeit- oder Langzeitprophylaxe dienen können.
Zur kurzzeitigen Prophylaxe können sogenannte C1-Inhibitoren über die Vene oder unter die Haut verabreicht.
Als Langzeitprophylaxe dienen Antikörper, welche die auslösende Immunreaktion unterbinden.