Wirbelsäulentraining

Rückenschmerzen

Allgemeine medizinische Informationen zur Ursache, Diagnose und Therapie Rückenschmerzen erhalten Sie unter Rückenschmerzen.

Wirksamkeit des lokalen Muskeltrainings bei Rückenschmerzen

Untersucht wurden 2 Patientengruppen 1 Jahr und 3 Jahre nach dem ersten Auftreten von Rückenschmerzen im Lendenwirbelbereich.
Die erste Gruppe wurde ausschließlich mit Medikation, die zweite Gruppe mit einem Schulungsprogramm für die tiefe Muskulatur behandelt.
Die Rezidivrate der ersten Gruppe lag nach 1 Jahr bei 84%, nach 3 Jahren bei 78%.
Die Rezidivrate der zweiten Gruppe lag nach einem Jahr bei 30%, nach 3 Jahren bei 32%.
Untersucht wurden außerdem Schmerzintensität, funktionelle Beeinträchtigung, Bewegungsausmaß und der Muskelquerschnitt der tiefen Rückenmuskulatur. Auch hier konnten signifikante Verbesserungen zu Gunsten der Übungsgruppe festgestellt werden.

Übungsprogramm zum Training der lokalen Muskulatur

  • die Übungen sind ohne fachmännische Anleitung durch einen Physiotherapeuten nicht erlernbar, da intensive Wahrnehmungsschulung notwendig ist und die Übungsaufträge nur über „Bilder „vermittelt werden können
  • Übungszeitraum: täglich für 10- 12 Wochen
  • Wiederholungszahl/ Übung: 30 tgl. , sinnvoll sind 3 Einheiten a 10 Wiederholungen, Übungen in den Alltag einfließen lassen
  • Ausgangsstellungen: nach dem Erlernen der Übung Sitz, Stand, Gang, da die tiefe Muskulatur besser gegen die Schwerkraft arbeitet
  • Spannungsdauer: ca. 10sec. / Übung
  • Spannungsablauf wie eine Welle, langsamer Beginn, Halten, langsames Entspannen, wenn die Muskulatur beim Anspannen „zuckt“, wird die globale Muskulatur anstatt angespannt
  • Nur 30% der Maximalkraft anspannen
  • Nach Ablauf der 3 Monate tägliche „ Erinnerungsübungen
  • Eingliederung ins allgemeine Training
  • Integration in den Alltag
  • Die Übungen ernst nehmen, auch wenn sie wenig mit Krafttraining oder Sport zu tun haben
  • Falls ein erneutes akutes Schmerzbild auftritt, erneut 4-6 Wochen intensives tgl. Üben

1.Rehabilitation innerer Bauchmuskel (Musculus transversus abdominis)

Musculus transversus abdominis liegt ringförmig unter der großen Bauchmuskulatur, hilft beim Husten, Lachen, Pressen, unterstützt Atmung, schützt die Bauchorgane und stabilisiert über eine bindegewebige Verbindung die Lendenwirbelsäule.
Ausgangsstellungen: zum Erlernen Seitlage, Vierfüßlerstand, später Sitz, Stand, zu Beginn Hand auf den Unterbauch

  • Bauchdecke locker in der Hand liegen lassen, (keine Vorspannung der großen Bauchmuskulatur)
  • Anspannung beginnt am unteren Teil des Bauches
  • Spannungsauftrag:
  • Bauchdecke besteht aus 2 Schichten, inneren Anteil vom äußeren Anteil weg nach innen ziehen ( z.B. Wollmantel mit Futter)
  • Inneres Korsett anspannen, äußeres Korsett bleibt locker
  • Bauchdecke in der Hand ruhen lassen, ganz vorsichtig den Bauchnabel Richtung Wirbelsäule ziehen
  • Evtl. Kombination der Anspannung zur Ausatmung

Weitere Informationen zur Anatomie erhalten Sie auch unter:

2. Rehabilitation tiefer Rückenmuskel ( M. multifidi)

Die tiefen Rückenmuskeln sind wie ein Tannenbaum aufgebaut und stabilisieren die Lendenwirbelsäule über die Verspannung der einzelnen Lendenwirbel. Sie bieten außerdem einen guten Schutz für die Bandscheiben. Eine Schwäche der tiefen Rückenmuskulatur kann in Kombination mit einer Dysbalance (Ungleichgewicht) der Bauch - und Beckenbodenmuskulatur zu Schmerzen im Bereich der Lendenwirbelsäule führen und kann die Entstehung eines Bandscheibenvorfalls im Bereich der Lendenwirbelsäule begünstigen.

Ausgangsstellung : zum Erlernen Bauchlage oder Seitlage (Schmerzseite oben), später Sitz, Stand, zu Beginn Finger direkt neben den unteren Lendenwirbeln oder Tennisbälle neben die Lendenwirbelsäule

  • Spannungsauftrag:
  • Wirbel von den Fingern ( oder Bällen) wegziehen
  • Hohlkreuz auf der Höhe eines Wirbels“
  • Wirbel ganz vorsichtig in Richtung Bauchnabel ziehen
  • Wirbel ist eine Schublade, wird durch die Muskulatur reingezogen

3. Rehabilitation Beckenbodenmuskulatur

Die Beckenbodenmuskulatur sichert das kleine Becken nach unten ab, stabilisiert in Kombination mit Rücken- und Bauch- und Hüftmuskulatur das Kreuz-Darmbeingelenk und die Lendenwirbelsäule und sichert die Kontinenz.
Eine Schwäche der Beckenbodenmuskulatur kann in Kombination mit einer Dysbalance der Bauch- und Rückenmuskulatur zu Beschwerden im Lenden- und Beckenbereich führen und die Entstehung einer Inkontinenz begünstigen.
Ausgangsstellung: zum Erlernen Rücken- oder Seitlage, später Sitz und Stand
Spannungsauftrag:

Frauen:

  • Kirsche mit Stiel nach oben in der Vagina, Kirsche vorsichtig hochziehen, ohne sie zu zerdrücken
  • Schwämmchen vorsichtig hochziehen, nicht zerdrücken
  • Harnröhre verkürzen
  • Mit der Ausatmung den Beckenboden hochziehen ( nicht zusammenzwicken), mit der Einatmung lösen

Männer:

  • Harnröhre verkürzen oder hochziehen
  • gedanklich ins kalte Wasser springen

Kombination tiefe Bauchmuskulatur, tiefe Rückenmuskeln, Beckenboden( Übung 1,2,3)

Nach Erlernen und Aufschulen der drei Muskelgruppen können die einzelnen Anspannungen zu einer Übung zusammengefasst werden.
Spannungsauftrag:

  • Spannungseinleitung mit dem Beckenboden
  • Bauchnabel und Wirbel nähern sich an
  • Zwischen Bauchnabel und Lendenwirbelsäule ist ein seidener Faden gespannt, diesen Faden entlasten
  • Im Bauch befindet sich ein Luftballon, von allen Seiten leicht zusammendrücken
  • Inneres Korsett schnüren

4. Rehabilitation der tiefen Nackenbeuger

Die kurzen Nackenbeuger sitzen an der Vorderseite des Halses und sind dort für die Stabilität der Halswirbelsäule (hat sehr große Beweglichkeit) und den Schutz der Bandscheiben verantwortlich.
Der Schulter-Nackenbereich ist sehr stressanfällig, ständiges Sitzen und Bildschirmarbeit kann zu einer Dysbalance der Schulter-Nackenmuskulatur und zu einer Dysfunktion der Halswirbelsäule führen. Daraus resultieren häufig Nacken- und Kopfschmerzen.
Ausgangsstellung: Rückenlage, Halswirbelsäule in der Mittelstellung zwischen Beugung und Streckung, später Sitz (auf die Aufrichtung achten) und Stand
Spannungsauftrag:

  • kleine Nickbewegung mit dem Kopf, Hinterkopf schiebt leicht in Richtung Decke, sanfte langsame Anspannung der tiefen Halsbeuger
  • Kinn wird vorsichtig in Richtung Nacken gezogen, Spannung halten
  • Anspannung mit Ausatmung kombinieren, dabei auf Entspannung der Mundmuskulatur und der großen Halsmuskeln (mit den Händen kontrollieren) achten

5. Rehabilitation der kurzen tiefen Nackenstrecker (M.Multifidi)

Die kurzen Nackenstrecker liegen fächerförmig hinten entlang der Halswirbelsäule und stabilisieren die Halswirbelsäule von der Rückseite aus. Eine Schwäche der tiefen Nackenstrecker, ausgelöst z.B. durch vermehrtes Sitzen oder ein Schleudertrauma kann in Kombination mit einer Dysfunktion der Nackenbeuger zu Kopf - oder Nackenschmerzen, Schwindel, oder Bandscheibenschäden führen.

Ausgangsstellung: Bauchlage, später Sitz (auf die Aufrichtung achten) oder Stand

Spannungsauftrag:

  • Finger re/li neben der Halswirbelsäule anlegen, Wirbel in Richtung Kinn von den Fingern wegziehen
  • Wirbel ist eine Schublade, wird Richtung Kinn reingezogen
  • Muskulatur ist eine Sprungfeder, Körper hängt dran

6. Rehabilitation Schulterblattstabilisatoren

Die Stabilisatoren des Schulterblattes sitzen zwischen Schulterblatt und Rippen und zwischen dem unteren Schulterblattwinkel und der Wirbelsäule. Eine gute Funktion dieser Muskulatur entlastet den Schulterbereich, da es zu einer Entspannung der häufig verkrampften oben auf den Schultern liegenden Schultermuskeln kommt. Wichtig ist
das Aufschulen dieser Muskelgruppe besonders bei „Schreibtischtätern“, bei stressbedingtem Hochziehen der Schultern oder bei sogenannten „Flügelschultern“.
Ausgangsstellung: Bauchlage, aufrechter Sitz und Stand
Spannungsauftrag:

  • Schultern über einen kleinen Hügel rollen,( in Richtung Hosentaschen) hinter dem Hügel neben die Brustwirbelsäule absetzten, dort halten
  • unteren Schulterblattwinkel nach der Schulterrolle auf die Rippen kleben, dabei Brustwirbelsäule nicht zu sehr durchstrecken

Kombination kurze Halsbeuger, kurze Nackenstrecker, Schulterblattstabilisatoren (Übung 4,5,6)
Nach Erlernen und Aufschulen der drei Muskelgruppen können die einzelnen Anspannungen zu einer Übung zusammengefasst werden.
Ausgangsstellung: aufrechter Sitz, Stand

  • Mit der Schulterblattkontrolle den Spannungsaufbau einleiten
  • Kinn und Nackenwirbel nähern sich in der Mitte des Halses an
  • Zwischen Kinn und Nackenwirbel ist ein seidener Faden gespannt, versuch diesen zu entlasten
  • In der Mitte des Halses befindet sich ein Luftballon, vorsichtig von allen Seiten zusammendrücken

Die häufigsten Fehler beim Erlernen

  • zu viel Krafteinsatz, nur 30% sind notwendig
  • das Ausweichen auf das globale Muskelsystem
  • ungenügende Ausdauer und Konzentration beim Üben

Wenn Wahrnehmung und Kontrolle der einzelnen Muskelgruppen aufgeschult sind, können alle 6 Übungen zu einer Grundspannung zusammengefasst werden, das weitere Üben kann dann problemlos in den Alltag (am Schreibtisch, in der Küche, vor dem Fernseher) integriert werden.

Nach Abschluss dieses Lernprogramms wird die allgemeine Kraftausdauer unter Anspannung der lokalen Muskulatur ( Synergie lokales/globales Muskelsystem) trainiert. Die erlernten Fähigkeiten, die tiefe Muskulatur in Kombination anzuspannen, sollten so automatisiert sein, dass der Patient sie bei jeder Übung (z.B. am Kraftgerät) abrufen kann.

Das Schulen von Alltagssituationen ist die letzte Stufe in der Behandlung der Wirbelsäuleninstabilität. Es werden insbesondere Tätigkeiten geübt, die dem Patienten Schwierigkeiten bereitet oder vorher die bekannten Schmerzen ausgelöst hatten. Dabei muss sich der Patient das Gefühl haben, dass seine Wirbelsäule jederzeit muskulär gesichert ist.

Zusammenfassung

Zur optimalen Behandlung eines Patienten mit instabilitätsbedingten Bewegungsstörungen der Wirbelsäule und Rücken - oder Nackenschmerzen sollte neben der Standardtherapie unbedingt das Schulungsprogramm für das lokale Muskelsystem beinhalten. Dafür spricht die auch in Studien nachgewiesene Wirksamkeit in Bezug auf Schmerzreduktion und Rückgang der Rezidivraten.

Autor: Dr. Nicolas Gumpert Veröffentlicht: 12.03.2008 - Letzte Änderung: 30.03.2024