Nach einer Amputation kann das entfernte Körperteil zwar keine Schmerzsignale mehr an das Gehirn senden, viele Patienten haben aber dennoch Schmerzen. Diese Beschwerden sind nicht eingebildet, sondern hängen mit dem Schmerzgedächtnis des Gehirns zusammen.
Als Phantomschmerz wird das Empfinden von Schmerzen in einem nicht mehr vorhandenen Körperteil bezeichnet, der häufig nach dem Verlust eines Körperteils, meistens im Rahmen einer Amputation, auftritt. Meistens kommt es nach Entfernung von Teilen der Extremitäten zu den Phantomschmerzen, prinzipiell können sie jedoch überall auftreten, wo eine Amputation vorgenommen wird, also beispielsweise auch nach einer Brustentfernung.
Lange Zeit wurde angenommen, dass die Betroffenen sich den Phantomschmerz einbilden, später wurde vermutet, dass Veränderungen an dem verbleibenden Stumpf diesen Schmerz erzeugen würden. Inzwischen weiß man jedoch, dass der Phantomschmerz im Gehirn durch eine fehlerhafte Aktivierung des Schmerzsystems entsteht. Dementsprechend kann der Phantomschmerz als eine Art von Nervenschmerzen verstanden werden.
Grundlage der Schmerzempfindung ist, dass der Schmerzreiz weitergeleitet, vom Gehirn verarbeitet und schließlich bewertet wird. Dies ist auch ein Grund dafür, dass verschiedene Reize subjektiv als verschieden schmerzhaft beurteilt werden.
In der Entstehung von Phantomschmerz spielt zum einen der sogenannte „projizierte Schmerz“ eine Rolle: Ein Nervenstrang ist einem bestimmten Versorgungsgebiet zugeordnet, so dass das Gehirn bei einem Impuls über diesen Nervenstrang, weiß, woher der Reiz kommt. Dieses System kann jedoch getäuscht werden, wenn man sich beispielsweise den Ellenbogen anschlägt, verspürt man oft auch ein Kribbeln im kleinen Finger. Daher „projiziert“ das Gehirn diesen Schmerz auf den kleinen Finger.
Zum anderen kommt es durch den starken Schmerz, der während und nach dem Verlust eines Körperteils vorliegt, zu Veränderungen im Gehirn. Der sensomotorische Kortex ist der Bereich des Gehirns, der für die Verarbeitung und Bewertung von Empfindungen, also auch von Schmerz zuständig ist. Jede Körperregion ist dort repräsentiert, die Größe des jeweiligen Areals hängt von der Menge der von dort kommenden Empfindungen ab. Nach dem Verlust eines Körperteils ist dieses Körperteil im sensomotorischen Kortex weiter abgebildet. Jedoch kommt es zu einer Umorganisation dieser Hirnregion: zwar bekommt die dem entfernten Körperteil zugeordnete Gehirnregion keine Impulse mehr aus seinem angestammten Teil, allerdings wird das Areal zunehmend von benachbarten Arealen aus aktiviert. Je stärker diese Umorganisation ist, desto stärker ist auch der empfundene Phantomschmerz.
Ein weiterer Einflussfaktor auf die Stärke von Phantomschmerz ist die Schmerzstärke vor der Amputation des Körperteils. Negative Empfindungen, wie starker Schmerz, werden vom Gehirn im „Schmerzgedächtnis“ abgespeichert, es kommt zu Veränderungen im Gehirn und das Gehirn kann diesen Schmerz später wieder abrufen. Dies kann auch dann passieren, wenn die eigentliche Schmerzursache nicht mehr da ist, beispielsweise nach einer Amputation. Es kann dann dazu kommen, dass die körpereigenen schmerzhemmenden Mechanismen nicht mehr aktiv sind, im Gehirn aber genau der frühere Schmerz empfunden wird.
Beim Auftreten von Schmerz nach der Amputation sind die genaue Erfassung der Krankengeschichte und die exakte Beschreibung des Schmerzes des Patienten von großer Bedeutung. Von dem Phantomschmerz unterschieden werden muss der Stumpfschmerz, also der Schmerz am verbleibenden Stumpf des entfernten Körperteils. Diese können beispielsweise durch Entzündungen, Blutergüsse, Nervenverletzungen oder Durchblutungsstörungen entstehen. Der Betroffene sollte die genaue Stelle zeigen und die Art, Stärke und Dauer des Schmerzes beschreiben. Außerdem sollte darauf geachtet werden, ob der Schmerz sich durch bestimmte Faktoren auslösen oder lindern lassen. Da dies für den Betroffenen schwierig sein kann, kann nach einer Amputation das Führen eines Schmerztagebuches sinnvoll sein.
Die Häufigkeit von Phantomschmerz variiert je nach Studien zwischen extrem selten und nahezu nach jeder Amputation. Mittelwerte befinden sich in einem Bereich zwischen 50 und 75%, daher kann davon ausgegangen werden, dass Phantomschmerz ein häufiges Problem nach Amputationen ist und bei mehr als der Hälfte der Amputierten auftritt.
Unterschieden werden müssen die sogenannten Phantomsensationen, nicht-schmerzhafte Gefühle im amputierten Körperteil, die von nahezu jedem Betroffenen nach Erleben einer Amputation empfunden werden.
Phantomschmerz tritt am häufigsten auf, je näher am Körperstamm (proximaler) die Amputation erfolgte. Kommt es zum Auftreten von Phantomschmerz, so beginnt dieser im Regelfall bereits im ersten Monat nach der Amputation, bei mehr als der Hälfte hält er jedoch auch über ein Jahr hinweg an. Bei weniger als 10% der Betroffenen tritt der Phantomschmerz erstmals nach dem ersten Jahr nach der Amputation auf.
Meistens relativ kurze Zeit nach dem Verlust des Körperteils, seltener auch erst Monate bis Jahre nach dem Ereignis, kommt es zu Schmerz in dem nicht mehr vorhandenen Körperteil. Der Schmerz wird oft als brennend, stechend, einschießend oder bohrend beschrieben und ist meistens nachts stärker als tagsüber. Phantomschmerz kann als wiederkehrende Schmerzattacken oder seltener als anhaltender Schmerz auftreten. Oft ähnelt der Schmerz dem bereits vor dem Verlust des Körperteils empfundenen Schmerz.
In vielen Fällen können verschiedene Faktoren den Phantomschmerz beeinflussen. Dies können externe Faktoren wie Wärme oder Kälte sein, aber auch interne Faktoren wie Stress, Angst und das Wohlbefinden allgemein können einen Einfluss auf den Phantomschmerz haben.
Eine einheitliche Therapie von Phantomschmerz gibt es bis heute nicht.
Da gezeigt wurde, dass bei Patienten mit adäquater Prothesenversorgung, die Umorganisation des Gehirns am geringsten war und sie am wenigsten von Phantomschmerzen betroffen waren, sollten die Betroffenen, soweit möglich, eine Prothese erhalten.
Meistens wird zunächst eine medikamentöse Behandlung versucht. Da Phantomschmerz den sogenannten neuropathischen Schmerzen zugeordnet wird, also Schmerzen, deren Ursache im Nerv selbst liegt, kommt hierbei den Koanalgetika eine wichtige Bedeutung zu. Dies sind Medikamente, die ursprünglich nicht als Schmerzmittel gedacht waren, bei denen sich aber zeigte, dass sie bei dieser Schmerzart sehr gut helfen können. Dazu gehören vorwiegend Medikamente aus den Gruppe der Antidepressiva und Antiepileptika. Da Phantomschmerz im Gehirn entsteht, profitieren viele Betroffene von Medikamenten, die im zentralen Nervensystem wirken, dies sind zum Beispiel Opiate und NMDA-Rezeptorantagonisten.
Hält der Phantomschmerz trotz medikamentöser Therapie an, so sollte eine spezielle Schmerztherapie erfolgen. Hierbei empfiehlt sich die Behandlung durch erfahrene Schmerzspezialisten, häufig führt die multimodale Schmerztherapie, an welcher mindestens zwei verschiedene medizinische Fachrichtungen beteiligt sind, zum Erfolg. Eingesetzt werden zum Beispiel physikalische Therapien oder die transkutane elektrische Nervenstimulation (TENS). Auch Entspannungsverfahren und Verhaltenstherapie können zur Verbesserung beitragen.
Außerdem gibt es Verfahren, die versuchen, die im Gehirn entstandene Umorganisation rückgängig zu machen. Dazu stehen verschiedene Möglichkeiten zur Verfügung: Myoelektrische Prothesen sind moderne Prothesen, welche die Funktion des verlorenen Körperteils teilweise wieder herstellen können. Das regelmäßige Tragen der Prothese führt auch zur Aktivierung der durch die Amputation veränderten Hirnregion. Im Rahmen einer Spiegel-Therapie sitzt der Betroffene so, dass er im Spiegel seine gesunde Gliedmaße sehen kann. Bewegt er diese, wird dies vom Gehirn als Bewegung der amputierten Gliedmaße interpretiert, was zu einer Verbesserung des Phantomschmerzes beitragen kann. Auch verschiedene Übungen wie visualisierende Vorstellungsübungen und Reizstimulation des verbleibenden Stumpfes können schmerzlindernd wirken.
Weitere Behandlungsmöglichkeiten sind Akupunktur, Spinal Cord Stimulation, tiefe Hirnstimulation oder die Gabe von Spritzen mit lokal wirkenden Betäubungsmittel oder Kortikoiden in den verbleibenden Stumpf. Wichtig ist, dass es in der Behandlung von Phantomschmerzen nicht nur einen Weg gibt. Für jeden Patienten sollte seine individuell richtige Therapie gefunden werden. Häufig ist dies nicht einfach und erfordert das Ausprobieren verschiedener Medikamente und Methoden, wobei schlussendlich oft eine Kombination verschiedener Medikamente und Methoden die Schmerzen wirksam lindert.
Ein maßgeblicher Faktor in der Entstehung von Phantomschmerzen ist die Stärke und Dauer der Schmerzen vor Entfernung des Körperteils. Daher ist eine optimale Schmerztherapie vor einer Amputation der zentrale Ansatz, um Phantomschmerzen vorzubeugen. Nur so kann die Bildung eines Schmerzgedächtnisses verhindert werden.
Auch nach der Operation sollte eine konsequente Schmerztherapie erfolgen. Zusätzlich können während der Operation selbst Schmerzreize durch rückenmarksnahe Anästhesieverfahren reduziert werden.
Die Prognose von Phantomschmerzen hängt in erster Linie von einem frühestmöglichen Therapiebeginn ab. Bei einer optimalen Schmerztherapie in den ersten Wochen wird bei 70-90% der Betroffenen von gutem therapeutischem Erfolg berichtet. Beginnt die Schmerztherapie verzögert, ist dies bei nur etwa einem Drittel der Fall.
Eine Vorhersage über das Andauern von Phantomschmerzen ist generell nicht möglich. Ein spontanes Sistieren ist möglich, das Wiederkehren der Schmerzen nach Schmerzfreiheit ebenfalls. Schmerzen, die über einen längeren Zeitraum als sechs Monate anhalten, sind als prognostisch ungünstig anzusehen.
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