Postoperative Anämie

Die postoperative Anämie ist Blutarmut, die kurze Zeit nach einem operativen Eingriff vorkommt.

Postoperative Anämie

Definition

Die postoperative Anämie ist eine Erscheinungsform der Blutarmut, die kurze Zeit nach einem operativen Eingriff auffällt.

Generell spricht man von einer Anämie, wenn bei Männern der Hämoglobin-Wert unter 14g/dl fällt.
Bei Frauen sollte der Hämoglobinwert 12g/dl nicht unterschreiten.

Ein weiterer Parameter zur Anämie-Diagnostik ist der Hämatokrit-Wert, der den Anteil roter Blutkörperchen am Gesamtvolumen des Blutes angibt. Er sollte bei Männern 40-54% betragen, bei Frauen 37-47%.

Ursachen

Durch einen operativen Eingriff kann eine schon vorher bestehende, symptomlose Anämie verstärkt werden, da es während einer OP zu Blutungen kommt und zur Vorbereitung einer Operation häufige diagnostische Blutentnahmen nötig sein können.

Eine Operation stellt eine Belastung für den menschlichen Körper dar, der ausgelöste Stress kann zu Störungen der Blutbildung führen und auch bei Patienten ohne präoperativ bestehende Blutarmut eine postoperative Anämie auslösen.

Die durch die Operation zugefügten Verletzungen bewirken die Freisetzung von Botenstoffen, die eine Entzündung vermitteln und somit zu einer entzündungsähnlichen Reaktion führen.
Die ausgeschütteten Botenstoffe werden auch als Akute-Phase-Proteine bezeichnet und umfassen beispielsweise den auch in der Allgemeinbevölkerung gut bekannten Entzündungsparameter CRP (C-reaktives Protein).
Diese Entzündungsbotenstoffe bremsen die Produktion der Vorläuferzellen der roten Blutkörperchen (Erythrozyten), indem sie die Produktion von Erythropoetin hemmen.

Erythropoetin ist ein Hormon, das hauptsächlich in der Niere gebildet wird und die Blutbildung fördert.

Außerdem vermindern die Entzündungsbotenstoffe die Eisenaufnahme über den Darm. Die Produktion des sauerstofftransportierenden Moleküls auf den roten Blutkörperchen, dem Hämoglobin, benötigt Eisen.
Eine verminderte Eisenresorption kann somit entweder durch leere Eisenspeicher schon vor der Operation oder durch eine längere Aufnahmestörung im Darm zu einem Eisenmangel und somit zur Anämie führen.

Lesen Sie mehr zu diesem Thema unter: Blutarmut durch Eisenmangel

Je umfangreicher ein operativer Eingriff ist, desto mehr Entzündungsbotenstoffe werden ausgeschüttet. Dies hat zur Folge, dass eine große Operation in der Regel eine stärkere postoperative Anämie verursacht als ein kleiner Eingriff.

Symptome und Komplikationen

Die Symptome der postoperativen Anämie gleichen den Symptomen einer Anämie, die nicht im Rahmen einer Operation diagnostiziert wurde.

Schwäche, Müdigkeit, Luftnot, Schlafstörungen und herzinfarktähnliche Schmerzen (Angina Pectoris) gehören dazu.

Nach einer Operation fällt es Patienten mit einer Anämie schwerer, sich in angemessener Zeit zu erholen und wieder auf die Beine zu kommen.

Je größer das Ausmaß der Anämie, desto länger braucht der Körper um sich wieder zu regenerieren.
Eine schwere postoperative Anämie ist mit einer höheren Krankheits- und Sterberate assoziiert.

Die vorübergehende, leichte postoperative Anämie ohne Auswirkung auf die Fließeigenschaften des Blutes und den Kreislauf erhöht die Krankheits- und Sterberate nicht.

Lesen Sie hierzu auch unseren Artikel Folgen von Eisenmangel.

Diagnose

Die Diagnose einer Anämie kann nach einer Blutentnahme und anschließender Untersuchung des Blutbildes gestellt werden.

Der Arzt oder die Ärztin achtet dabei vor allem auf den Hämoglobin-Wert (s.o.), den Hämatokrit-Wert (s.o.) und die Gesamtzahl der roten Blutkörperchen.

Durch eine körperliche Untersuchung kann der Arzt oder die Ärztin typische Symptome für eine Anämie wie eine Blässe der Schleimhäute oder der Lidfalte feststellen.

Therapie

Kommt es intraoperativ zu schweren akuten Blutungen, muss der Patient mit Bluttransfusionen behandelt werden, um die Sauerstoffversorgung aller Organe sicherzustellen.

Die Gabe von Fremdblut während einer Operation wirkt sich nicht auf das Auftreten einer postoperativen Anämie aus.

Tritt nach einer Operation eine Anämie auf, kann die Blutbildung durch unterstützende Therapien angeregt werden.
Die Gabe von Eisen und Erythropoetin ist möglich.

Der theoretische Gesamteisenbedarf kann durch eine einfache Formel berechnet werden:

Eisenbedarf=150 ×(Hämoglobinzielwert-Hämoglobinausgangswert)

Die Eisengabe kann in Form von Tabletten, intramuskulären Injektionen oder intravenösen Infusionen erfolgen.
Die Tablettengabe ist ein günstiges und einfaches Verfahren, das so gegebene Eisen kann aber nicht optimal über den Darm aufgenommen werden und Nebenwirkungen wie Sodbrennen, Erbrechen, Durchfall, Verstopfung und Bauchschmerzen verursachen.

Eisentabletten sollten am besten vor den Mahlzeiten eingenommen werden, da sonst die Eisenresorption vermindert wird.
Schwarzer Tee, Kaffee und Milch verhindern die Eisenresorption im Darm fast vollständig.
Die intravenöse Gabe von Eisensaccharat als Kurzinfusion hat kaum Nebenwirkungen.

Erythropoetin ist ein Hormon, das die Blutproduktion stimuliert und in rekombinanter Form zur Verfügung steht.
Es wird ergänzend eingesetzt, wenn eine Anämie nicht oder nur ungenügend auf die Gabe von Eisenpräparaten anspricht. Die Eisenpräparate müssen auch unter einer Therapie mit Erythropoetin weiterhin eingenommen werden, da sonst durch die gesteigerte Blutproduktion ein Eisenmangel auftreten kann.

Erythropoetin kann außerdem prä- und postoperativ zur Anhebung des Hämoglobin-Wertes gegeben werden, die Therapie mit Erythropoetin muss aufgrund der hohen Kosten allerdings individuell eingestellt werden.

Eisensubstitution

Eine Eisensubstitution kann zur Behandlung einer postoperativen Anämie in vielen Fällen sinnvoll sein. Generell ist Eisenmangel der häufigste Auslöser einer Blutarmut, jedoch gibt es auch eine Vielzahl weiterer Ursachen. Nach einer Operation kommt es meist zu einem Anstieg von Entzündungsbotenstoffen als Reaktion des Körpers auf den Eingriff. Eine von vielen Auswirkungen dieser Botenstoffe ist, es dass die Aufnahmefähigkeit von Eisen aus der Nahrung über den Darm herabgesetzt wird. Gerade bei Patienten, die schon vor einer Operation grenzwertig gefüllte Eisenreserven haben, kann dadurch postoperative eine Anämie ausgelöst werden. Zudem verliert der Körper durch einen Blutverlust bei der Operation zusätzlich Eisen. Ob ein Eisenmangel die Ursache bei einer postoperativen Anämie ist, kann der Arzt durch spezielle Blutwertbestimmungen von Eisenspeichereiweißen feststellen. Wenn die Ergebnisse einen Eisenmangel erkennen lassen, ist eine vorrübergehende Eisensubstitution angezeigt. Bei einer anderen Ursache ist diese jedoch nicht sinnvoll und es sind gegebenenfalls andere Maßnahmen erforderlich. In jedem Fall sollte im Verlauf eine Kontrolle des Blutbildes und weiterer relevanter Werte durch Ihren Arzt erfolgen.

Dauer der postoperativen Anämie

Wie lange eine postoperative Anämie besteht, lässt sich nicht allgemein beantworten, da dies von vielen verschiedenen Faktoren abhängt. Zu nennen sind hierbei die Art und Schwere des Eingriffs, die Höhe des Blutverlustes sowie die allgemeine Verfassung des Körpers des Patienten sowie dessen Fähigkeit, neue Blutzellen zu produzieren. Oft steigen die Werte für den roten Blutfarbstoff (Hämoglobin) und die roten Blutkörperchen (Erythrozyten) bereits innerhalb weniger Tage wieder in den Normalbereich an. Wenn eine Bluttransfusion aufgrund eines hohen Blutverlustes erforderlich wird, steigen die Werte mit der Transfusion direkt an. In manchen Fällen bleibt die postoperative Anämie jedoch länger bestehen. In einem solchen Fall sind weitere diagnostische Maßnahmen (zum Beispiel Eisen- oder Vitaminwertbestimmungen) sowie gegebenenfalls eine Therapie erforderlich.

Prophylaxe

Fällt schon vor einem operativen Eingriff eine starke Anämie auf, sollte man nach der Ursache suchen um die auslösende Grunderkrankung zu finden.

Gerade bei älteren Patienten ist eine Anämie häufig nur ein Symptom einer anderen Erkrankung.
Behandelt man dann die gefundene Grunderkrankung, bessert sich die bestehende Anämie und das Risiko einer postoperativen Anämie sinkt.

Da gerade Patienten mit Erkrankungen von Herz und/oder Gefäßen eine Anämie deutlich schlechter verkraften als herz- und gefäßgesunde Patienten, sollten diese Erkrankungen vor planbaren Operationen bestmöglich versorgt werden, um Komplikationen durch eine postoperative Anämie gering zu halten.

Am besten ist es natürlich, wenn die Anämie postoperativ gar nicht auftritt.
Exaktes chirurgisches Arbeiten und eine schnelle intraoperative Blutstillung können größere Blutverluste verhindern, das Auftreten einer postoperativen Anämie aber nicht vollständig ausschließen.

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Autor: Dr. Nicolas Gumpert Veröffentlicht: 24.11.2014 - Letzte Änderung: 18.09.2024