Unter einer Patellalateralisation versteht man eine Abweichung der Kniescheibe von ihrer physiologischen Lage.
Die Patella (lat.: Schale; Kniescheibe) ist eine dreieckige, flache Knochenscheibe, die dem Kniegelenk vorgelagert und maßgeblich an dessen Funktion beteiligt ist. Die Kniescheibe liegt eingebettet in der Sehne des großen Oberschenkelmuskels (Musculus quadriceps femoris) und übernimmt die Funktion eines Platzhalters zwischen der Sehne und dem Kniegelenk sowie die einer Umlenkrolle, sodass es durch die Verlängerung des Hebelarmes zu einer optimalen Zugkraftübertragung vom Oberschenkelmuskel auf den Unterschenkel kommt.
Um die Patella in ihrer mittigen Position vor dem Kniegelenk zu halten, wird sie zur Körpermitte (nach medial) und zu der Seite hin (nach lateral) durch Seitenbänder stabilisiert und von der die umgebenen Muskulatur in ihrer knöchernen Gleitrinne des Oberschenkels geführt. Bestehen jedoch leichte Instabilitäten in dem sichernden Bänder-Muskel-Apparat, kann dies dazu führen, dass die Kniescheibe ihre eigentliche Gleitrinne verlässt und seitlich verschiebt.
Diese sogenannte Patellalateralisation führt in der Folge dazu, dass zum einen die Zugkraftübertragung beeinträchtigt und zum anderen auch ein erhöhter Anpressdruck der Patella auf die Gleitrinne entsteht, was zu einer übermäßigen und ungleichmäßigen Belastung der Knieschiebe führt. Es kommt zu einem verstärkten Abrieb des Gelenkknorpels an der Rückseite der Kniescheibe, vor allem an der Außenfläche, was im Verlauf in eine schmerzhafte Knorpelerkrankung (Chondropathia patellae) oder sogar in einen vollständigen, partiellen Knorpelverschleiß (Patellaarthrose) übergehen kann.
Der Grund für die Lageabweichung der Patella aus ihrem Gleitlager ist in der Regel ein Fehler in einem der sie stabilisierenden Systeme.
So kann eine mögliche Ursache eine knöcherne Fehlanlage der Kniescheibe oder der Gleitrinne sein, sodass beispielsweise Formabweichungen das physiologische Gleiten behindern.
Zum anderen kann der Grund für eine Patellalateralisation eine Instabilität in den Seitenbändern – besonders des medialen Seitenbandes – sein, sodass sie die Kniescheibe nicht mehr ausreichend führen können und diese sich zur Seite hin verschiebt. Dies kann zum Beispiel nach Verletzungen bzw. Traumata der Fall sein, es ist jedoch auch eine angeborene Bandinstabilität der Grund sein.
Die dritte mögliche Ursache liegt in einem Ungleichgewicht in der die Kniescheibe umgebenen Muskulatur. Überwiegen die äußeren Muskelanteile des Oberschenkels und sind die inneren Oberschenkelmuskeln (Musculus vastus medialis) verhältnismäßig schwächer, wird die Patella tendenziell vermehrt zur Seite gegen den äußeren Anteil des Gleitlagers gedrückt bzw. gezogen.
Die Fehlstellung der Kniescheibe bzw. das zu weit seitliche Gleiten der Patella in der Gleitrinne wird in den meisten Fällen erst dann bemerkt, wenn bereits ein Knorpelschaden vorliegt. Gelegentlich kann jedoch auch gerade bei sportlichen Aktivitäten wie Laufen, Radfahren und Schwimmen ein instabiles Gefühl im Bereich der Kniescheibe auftreten, so als würde diese jeden Augenblick “rausspringen“.
Ist der Gelenkknorpel der Patella durch die Fehlbelastung geschädigt oder ganz zerstört, treten lokalisierte Knieschmerzen auf, die in der Regel während der Bewegung im Kniegelenk im vorderen Kniebereich, direkt hinter der Kniescheibe oder deren unmittelbaren Umgebung verspürt werden. Provoziert werden diese Schmerzen insbesondere durch Bergabgehen und das Hinunterlaufen von Treppen sowie beim Aufstehen aus einer Sitzposition (sog. “Theater-Knie“).
Lesen Sie mehr zum Thema unter: Schmerzen hinter der Kniescheibe
Begleitet werden kann der schmerzende Knorpelschaden durch einen allgemeinen Reizzustand des Kniegelenks, welcher sich in Form von Knieschwellung und Ergussbildung äußert.
Die Patellalateralisation lässt sich in vielen Fällen schon durch die körperliche Untersuchung diagnostizieren. Im Liegen kann durch die Beobachtung des Patellalaufs bei passiven und aktiven Bewegungen im Kniegelenk (Übergang vom gestreckten zum gebeugtem Knie) eine Lateralisation erkannt werden, genauso können auch klinische Tests einen Hinweis über Seitenbandinstabilitäten, Muskelverkürzungen bzw. –dysbalancen, Abweichungen in der Verschiebbarkeit der Patella aus ihrem Gleitlager sowie bereits bestehende Knopelschäden (z. B. Zohlen-Zeichen) geben. In einigen Fällen kann sogar ein Kompressionsschmerz bei Druckausübung auf die Kniescheibe auffallen.
Weiterführend kann eine Bildgebung die Diagnosestellung erleichtern oder unterstützen, wobei verschiedene Verfahren angewendet werden können. Mittel der Wahl ist die einfache Röntgenaufnahme des Kniegelenks, in der die Zentrierung der Patella genau beurteilt werden kann sowie Röntgenaufnahmen in 30°-, 60°- und 90°-Funktionsstellung. Die Sonografie ermöglicht darüber hinaus die gezielte Untersuchung nach Pathologien bzw. Veränderungen in der Sehne des Quadricepsmuskels, die Magnetresonanztomographie eine detaillierte Beurteilung der Band- und Knorpelstrukturen.
Lesen Sie mehr zum Thema unter: MRT des Knies
Eine Behandlung der Patellalateralisation kommt in der Regel immer erst dann in Frage, wenn sich Beschwerden einstellen, die zu Einschränkungen des Patienten im Alltag führen.
Begonnen wird meist mit einer einfachen, konservativen Therapie, wobei die verursachenden Missverhältnisse im Muskel-Band-Apparat des Knies durch Physiotherapie behoben werden sollen. Das Ziel der regelmäßig durchgeführten Übungen in Begleitung eines fachmännischen Krankengymnasten ist, durch Muskelkräftigung, Muskeldehnung und Koordinationsübungen die Dysbalancen in der Oberschenkelmuskulatur auszugleichen bzw. zu beheben. Hierbei kommt es vor allem auf die Kräftigung des Musculus vastus medialis (der mediale Anteil des Quadriceps-Muskels), die Dehnung der ischiokruralen Muskulatur und des Tractus iliotibalis und das verbesserte Koordinieren von Bewegungsabläufen im Kniegelenk an. In vielen Fällen kann hierdurch bereits eine Zentrierung der Patella und ein besseres Gleiten in der Gleitrinne erreicht werden.
Unterstützend kann zudem auch das Tragen von Kniebandagen oder das fachmännische Aufkleben von Tapes wirken, die eine Instabilität der Kniescheibe oder den Seitenbändern des Kniegelenks ausgleichen können. Zudem kann die kurzfristige Gabe von schmerz- und entzündungshemmenden Mitteln (z. B. Ibuprofen, Diclofenac) die Beschwerden erleichtern.
Sind die konservativen Therapiemaßnahmen jedoch erfolglos oder liegt bereits ein massiver Knorpelschaden an der Patella vor, kann in einigen Fällen nur eine operative Behandlung zu Symptomlinderung führen. Zur Verfügung stehen verschiedene Operationsmethoden, die entweder minimalinvasiv arthroskopisch oder offen chirurgisch durchgeführt werden:
Möglich sind Raffungen der medialen Kniegelenkskapselanteile (mediales Retinaculum), Spaltungen der lateralen Kniegelenkskapselanteile (laterales Retinaculum), eine Plastik des medialen Seitenbanden (MFPL-Rekonstruktion), eine knöcherne Verletzung des Kniescheibenbandes (Lösung des Ligamentum patellae-Ansatzes am Schienbein und Versetzung des Ansatzes weiter nach medial).
Es gibt verschiedene Übungen um einer Patellalateralisation entgegen zu wirken. Bei den Übungen gilt es vor allem den Vastus medialis Muskel zu trainieren. Dieser Oberschenkelmuskel ist für die Streckung im Kniegelenk und die Führung der Kniescheibe zuständig. Durch Stärkung der Oberschenkelmuskulatur kann das Risiko einer Patellaluxation vermindert werden. Typische Übungen für den Oberschenkel sind die Beinpresse oder tiefe Kniebeugen. Zudem sind Übungen mit dem Theraband nützlich um die Außenrotatoren zu stärken. Dazu sollte das Theraband um die Kniegelenke gespannt werden und die Beine bei gebeugter Hüfte auseinander bewegt werden.
Bei Patellalateralisationen und Luxationen der Kniescheibe kommen Kinesio-Tapes häufig zum Einsatz. Durch die Spannung des Tapes wird die Stabilität im Kniegelenk gestärkt und die Durchblutung gefördert. Es fördert so die Heilung bei verletzten Bändern oder Muskelstrukturen. Eine schnelle Heilung und Stärkung des Oberschenkelmuskels führt zu einer Stärkung des Patellabandes und beugt einer Luxation vor.
Lesen Sie mehr zum Thema unter: Kinesiotape
Eine Kniegelenksbandage kann bei einer Patellalateralisation helfen und eine Luxation der Kniescheibe verhindern. Bandagen führen zu einer Entlastung des Kniegelenks und lindern Schmerzen. Durch Kompression wirken sie zudem aktivierend und fördern so die Regeneration der Sehnen und Bänder sowie der Beweglichkeit. Eine Bandage führt zu einer erhöhten Stabilität im Kniegelenk und hilft dabei, die Kniescheibe in ihrer anatomischen Schiene zu halten.
Bei einer Patellalateralisation kommt es zu einer Verlagerung der Kniescheibe nach außen. Dadurch steigt das Risiko für eine Luxation. Einlagen können bei der Stabilisation des Kniegelenks helfen und die Gangdynamik unterstützen. Einlagen werden häufig bei O- oder X-Beinen eingesetzt. Bei X-Beinen kann es zu einer Patellalateralisation kommen, sodass der Einsatz von Einlagen hierbei helfen könnte. Liegt die Ursache der Patellalateralisation jedoch bei angeborenen Knochendysplasien oder Bandläsionen, helfen Einlagen nur wenig.
Lesen Sie mehr zum Thema unter: X-Beine
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