Fetales Alkoholsyndrom

Einleitung

Das fetale Alkoholsyndrom gehört zu den sogenannten Embryofetopathien. Also zu einer Gruppe von Erkrankungen, die dadurch charakterisiert ist, dass es während der Schwangerschaft zu einer Schädigung bzw. Fehlbildungen des ungeborenen Kindes kommt. In Deutschland stellt es zudem den häufigsten Grund für eine geistige Behinderung dar.
Ca. jedes tausendste Kind wird in Deutschland mit den Anzeichen eines fetalen Alkoholsyndroms geboren. Typisch für das FAS ist eine charakteristische Gesichtsform, auf die in einem separaten Abschnitt noch genauer eingegangen werden soll.

Ursachen des fetalen Alkoholsyndroms

Wie der Name des Syndroms schon vermuten lässt, wird das FAS durch den mütterlichen Alkoholkonsum während der Schwangerschaft hervorgerufen. Dabei kann als grobe Faustregel gelten, dass die Auswirkungen für das Ungeborene umso schlimmer sind, je früher in der Schwangerschaft der Alkohol konsumiert wird. Einen Wert, unterhalb dessen der Alkoholkonsum nicht gefährlich für das Kind ist, konnte zurzeit noch nicht ausgemacht werden.
Im schlimmsten Falle führt der Alkoholkonsum zum sogenannten Fruchttod, also dem Versterben des Ungeborenen im Mutterleib.

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Diagnose eines fetalen Alkoholsyndroms

Die Diagnose eines fetalen Alkoholsyndroms erfolgt anhand einiger Anhaltspunkte und kann meist erst im Verlauf der Kindheit mit großer Gewissheit gestellt werden.
Man unterscheidet außerdem zwischen einem voll ausgeprägten FAS und einem fetalen Alkoholsyndrom ersten oder zweiten Grades, je nachdem, wie stark das Syndrom ausgeprägt ist.
Zum Vollbild gehören zum einen ein nachgewiesener Alkoholkonsum der Mutter während der Schwangerschaft als auch eine Wachstumsminderung, eine Schädigung des zentralen Nervensystems – welche in einer geistigen Retardierung gipfelt und das Vorliegen einer für das FAS typischen Gesichtsform.
Die geistige Retardierung wird dabei zumeist erst im Laufe der ersten Lebensjahre deutlich und sollte einen Warnhinweis für jeden Kinderarzt darstellen.

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Begleitende Symptome bei einem fetalen Alkoholsyndrom

Kinder mit einem fetalen Alkoholsyndrom weisen neben einer geistigen Beeinträchtigung noch viele weitere Symptome auf.
Es kann zu Knochendeformitäten kommen, wie zum Beispiel dem Verwachsen der Unterarmknochen, Fehlstellungen des Kiefers oder einer sogenannten Bindegewebsschwäche. Kinder leiden an schlaffen Gelenkbändern und weisen ein verändertes, oftmals lascheres Hautbild auf. Darüber hinaus ist ihr gesamtes Wachstum eingeschränkt. Sie leiden also an Minderwuchs und weisen bei Geburt häufig einen zu kleinen Schädel auf.
Weitere betroffene Bereiche können so gut wie alle inneren Organe sein. In aller Regel ist das FAS mit einem Herzfehler vergesellschaftet. In über 90% handelt es sich dabei um einen Ventrikelseptumdefekt, also einer pathologischen Verbindung zwischen beiden Herzkammern. Darüber hinaus ist der Harn- und Geschlechtsapparat dieser Kinder häufig nicht richtig entwickelt. Dies kann sowohl die äußeren Genitalien als auch die Nieren und Harnleiter betreffen.
Neben der geistigen Retardierung kommen häufige Krampfanfälle, ein vermindertes Schmerzempfinden sowie generelle Sensibilitätsprobleme vor, die wiederum eine Schädigung des zentralen Nervensystems nahelegen.

Veränderungen im Gesicht durch das FAS

Wie in den oberen Abschnitten bereits erwähnt, ist ein ausgeprägtes fetales Alkoholsyndrom hauptsächlich am Gesicht des Kindes zu erkennen.
Auffällig sind die schmalen Lippen dieser Kinder. Dies betrifft sowohl die Ober- als auch die Unterlippe. Das Kinn ist nach hinten versetzt; der Mediziner bezeichnet diesen Umstand als fliehendes Kinn, da die Verbindung von Lippe zu Kinn in der Profilansicht kontinuierlich nach hinten verläuft.
Betroffene Kinder fallen darüberhinaus auch durch einen als zu groß empfundenen Abstand zwischen den Augen auf. Die Lidachse der Augen verlaufen nicht gerade, sondern in aller Regel so, dass der äußere Augenwinkel tiefer tritt als der mittlere Augenwinkel. Der obere Ansatzpunkt der Ohren rutscht unter das Niveau einer nach hinten verlängerten Lidachse. Dieser Umstand wird besonders in der Profilansicht deutlich. Außerdem erscheinen die Ohren leicht nach hinten rotiert, so als habe man den oberen Pol der Ohren nach hinten gezogen.
Weiteres sehr auffälliges Merkmal ist das nicht mehr vorhandene „Philtrum“; umgangssprachlich auch als Rotzrinne bezeichnet. Die Verbindung zwischen Nase und Oberlippe ist beim FAS also in aller Regel plan, ohne Erhebungen.
Zu guter Letzt und nicht mehr ganz zum Gesicht gehörig, weisen betroffene Kinder eine schmale Stirn sowie einen insgesamt zu kleinen Kopf auf.
Die hier gegebenen Beschreibungen sind jeweils Vollausprägungen und können bei betroffenen Personen nur zum Teil oder auch garnicht ausgeprägt sein.

Veränderungen im Verhalten durch das FAS

An fetalem Alkoholsyndrom erkrankte Kinder gelten gemeinhin als besonders unruhig, aufgedreht und rastlos. Meist fällt es ihnen schwer, still zu bleiben oder sich lange auf eine Sache zu konzentrieren. Von ihren Altersgenossen werden sie im späteren Kindesalter oft als aufdringlich, wenig distanziert oder einfach als „komisch“ bezeichnet.  
Darüber hinaus fallen diese Kinder mit Lernschwierigkeiten auf. Sie können sich Anweisungen oder Sachverhalte nur schwer behalten und wirken dadurch auf ihre Umwelt nicht selten faul oder unorganisiert.

Behandlung des fetalen Alkoholsyndroms

Eine ursächliche Behandlung der Erkrankung ist nach ihrer Manifestation nicht mehr möglich. Um das Auftreten des Syndroms zu unterbinden, müsste die Mutter in der Schwangerschaft komplett auf den Konsum von Alkohol verzichten.
Mithilfe der modernen Medizin sind lediglich ein Teil der aufgetretenen Symptome korrigierbar. Die häufig auftretenden Herzfehler sind mithilfe von chirurgischen Eingriffen behandelbar. Hörschwächen oder Augenfehler lassen sich mithilfe von Hörgeräten, Cochleaimplantaten und Brillen bzw. Kontaktlinsen beheben.
Die geistige Retardierung der betroffenen Kinder lässt sich jedoch nicht behandeln. Diese Kinder können lediglich durch den Einsatz von Logopädie, Physiotherapie und Ergotherapie bestmöglich in ihrer Entwicklung gefördert werden. Die Entwicklungsrückstände können damit in geringem Maße wettgemacht werden.
Nicht selten empfiehlt sich auch eine psychotherapeutische Betreuung der Kinder, um Erlebnisse während der Erziehung durch ein alkoholkrankes Elternteil besser verarbeiten zu können.
Vor einer leichtfertigen Behandlung wie ein an ADHS-erkranktes Kind sollte allerdings Abstand genommen werden. Zwar ist das FAS auch in einigen Fällen mit einem ADHS vergesellschaftet, jedoch sind das fetale Alkoholsyndrom und ein ADHS nicht als das gleiche anzusehen.

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Dauer und Prognose des FAS

Das fetale Alkoholsyndrom ist, wie es für Syndrome typisch ist, ein nicht heilbarer Zustand. Wie bereits beschrieben, können die Entwicklungsverzögerungen nur zu einem Teil aufgeholt werden.
Epidemiologisch zeigt sich, dass an FAS erkrankte Personen eine verkürzte Lebenserwartung haben. Im weiteren Leben werden sie oftmals mit sozialen Konventionen anecken und sich schwer dabei tun, ein stabiles soziales Umfeld aufzubauen.

Folgen im Kindergarten durch das FAS

Im Kindergarten fallen an FAS erkrankte Kinder vornehmlich durch ihre „anstrengende Art“ auf. Es fällt ihnen schwer, ruhig sitzen zu bleiben oder sich lange für eine Sache zu begeistern. Sie wirken schnell abgelenkt und verhalten sich direkter als ihre Altersgenossen.
Da andere Kinder meist nur schwer mit dieser Art klar kommen, fällt es an FAS erkrankten Kindern schwieriger, Freundschaften zu schließen. Die Entwicklungsverzögerung wird bereits im Kindergartenalter deutlich. Neben eingeschränkten motorischen und geistigen Fähigkeiten, können diese Kinder beim Eintritt in den Kindergarten in manchen Fällen auch noch nicht alleine auf WC und trocken bleiben.

Folgen in der Schule durch das FAS

In der Schule macht den betroffenen Kindern vor allem die Konzentrationsschwierigkeit zu schaffen. Im Verlaufe eines Schulvormittags werden sie zunehmend unruhiger. Der Leistungsanspruch einer normalen Schule ist für viele der Kinder zu viel, sodass der Besuch einer Schule mit besonderem Förderungsangebot das ist, wovon sie am meisten profitieren.
Der Umgang mit nicht erkrankten Gleichaltrigen fällt besonders in dieser Zeit schwer, da der Entwicklungsrückstand mit zunehmendem Alter immer deutlicher zutage tritt. Die Interessen sind dadurch wesentlich anders gelagert als die ihrer Altersgenossen.

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Folgen im Erwachsenenalter durch das FAS

Im jungen Erwachsenenalter zeigt sich die Entwicklungsverzögerung in ihrer vollen Ausprägung. In geistiger Entwicklung bleiben sie oftmals auf dem Niveau eines Jugendlichen zurück.
Darüber hinaus weisen sie ein erhöhtes Risiko für Suchterkrankungen und Depressionen auf. Sie leiden nicht selten an einer gestörten Impulskontrolle und gelten als nur bedingt gesellschaftsfähig.
Im Allgemeinen können zwei Tendenzen des Verhaltens unterschieden werden. Während eine Gruppe sich bei Überforderung oder Reizüberflutung eher isoliert, abschottet und ängstlich zurückzieht, tendiert die andere Gruppe dazu, zu enfliehen und dadurch vor der Situation zu flüchten.
Außerdem sind an FAS erkrankte Menschen dazu veranlagt, ihnen nett erscheinende Menschen zu vorbehaltlos zu vertrauen. Gerade im Erwachsenenalter ergibt sich hieraus die Möglichkeit, dass man sie ausnutzt oder zu ungewollten Handlungen bewegen kann.

Autor: Dr. Nicolas Gumpert Veröffentlicht: 18.07.2018 - Letzte Änderung: 18.09.2024