Gleichgewicht ist eine koordinative Fähigkeit, bei der versucht wird, den Körper oder Teilkörper im Gleichgewicht zu halten, oder das Gleichgewicht wiederzuerlangen.

Gleichgewicht

Synonyme

Vestibularapparat, Vestibularisorgan, Vestibularorgan, Gleichgewichtsfähigkeit, Bewegungskoordination, Schwindel, Gleichgewichtsorgan Ausfall

Definition

Das Gleichgewicht im Sinne der Gleichgewichtsfähigkeit wird definiert als die Fähigkeit den Körper und oder Teilkörper im Gleichgewicht zu halten, oder während Bewegungen wieder ins Gleichgewicht zu bringen.

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Funktion des Gleichgewichts

Das Gleichgewichtsorgan dient der Messung von linearer Beschleunigung sowie von Drehbeschleunigung.

Die Maculae sind verantwortlich für die Erfassung von linearer Beschleunigung sowie für die Registrierung von Abweichungen des Kopfes von der Senkrechten. Dies funktioniert mit Hilfe der Statolithenmembran, da die Statolithen verglichen mit der sie umgebenden Endolymphe eine größere Trägheit aufweisen. Daraus folgt, dass die Endolymphe mit den Zilien der Haarzellen bei Bewegungen ausgelenkt wird, die Statolithenmembran jedoch zurückbleibt. Diese Auslenkung der Zilien bewirkt ihre Erregung über Öffnung von Ionenkanälen (Natrium, Kalium, Kalzium) und es kann auf diese Weise ein Nervenimpuls generiert und ins Hirn fortgeleitet werden.

Die Cristae der Bogengänge übernehmen die Registrierung der Drehbeschleunigung. Auch hierbei spielt wieder die Trägheit als Messmechanismus eine Rolle. Die Cupula verhält sich weniger träge als die sie umgebende Endolymphe. Bei Drehbewegungen des Kopfes bleibt die Endolymphe in den Bogengängen also durch ihre Trägheit gegenüber der Cupula zurück, woraus eine relative Bewegung mit Ablenkung der Zilien der Sinneszellen resultiert. Dieser Reiz setzt de gleichen Weiterleitungsmechanismus in Gang wie bereits bei den Maculae beschrieben.

Letztendlich dient die Messung dieser Beschleunigungen der Verrechnung mit anderen Informationen, damit einerseits das Gleichgewicht erhalten werden kann, andererseits ein Gegenstand bei Kopfbewegungen fixiert und so ein konstanter optischer Eindruck erhalten werden kann. Letzteres bezeichnet man als vestibulookulären Reflex, welcher der Raumorientierung dient.

Dafür notwendig ist das Zusammenspiel von Augenmuskeln für ausgleichende Augenbewegungen, von Halsmuskeln für kompensatorische Stellungsänderungen des Halses sowie vom Gleichgewichtsorgan. Das Ganze ermöglicht die oben beschriebene Verschaltung der einzelnen Komponenten im zentralen Nervensystem (Gehirn, Hirnstamm, Rückenmark).

Was ist der Gleichgewichtssinn?

Der Gleichgewichtssinn ist eine Sinneswahrnehmung, die dem Körper Informationen zu seiner Lage im Raum vermittelt. Damit dient der Gleichgewichtssinn dazu sich im Raum orientieren zu können sowie, sowohl in Ruhe als auch in Bewegung, eine ausbalancierte Körperhaltung einzunehmen.

Der Körper erhält Informationen aus dem Innenohr, den Augen sowie aus den Gelenken. Diese laufen alle im Hirnstamm zusammen und werden dort verrechnet. Das Innenohr besteht zum einen aus den beiden Makularorganen Sacculus und Utriculus, welche vertikale (zum Beispiel beim Aufzug fahren) und horizontale (beispielsweise beim Anfahren eines Autos) Beschleunigungen wahrnimmt. Zum anderen setzt es sich aus den drei Bogengängen zusammen, welche Rotationsbewegungen in jede Raumrichtung detektieren können.

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Die Augen erhalten visuelle Informationen und geben diese ebenfalls an den Hirnstamm weiter. In den Gelenken besitzen wir zusätzlich sogenannte Propriozeptoren, die feststellen in welcher Stellung das jeweilige Gelenk sich gerade befindet. Erhält das Gehirn gegensätzliche Informationen, so kann es zu Schwindel kommen. Befindet man sich beispielsweise im Inneren eines Schiffes bei starkem Seegang, vermittelt das Gleichgewichtsorgan des Innenohrs starke Beschleunigungen in viele verschiedene Richtungen. Das Auge jedoch möchte uns vermitteln, dass der Raum sich in Ruhe befindet. Dies löst ein Schwindelgefühl beim Betroffenen aus.

Prüfung des Gleichgewichtsorgans

Das Gleichgewichtsorgan kann auf verschiedene Weise auf seine Funktionalität hin überprüft werden.

Die einfachste Art der Prüfung ermöglichen Geh- und Stehproben mit offenen sowie geschlossenen Augen.

Eine weitere Möglichkeit bietet die Drehstuhlprobe. Hierbei wird der Patient längere Zeit auf einem Stuhl um seine eigene Achse gedreht. Nach Abbremsung tritt bei Gesunden als Folge der Reizung der Bogengänge ein von der Drehrichtung abhängiger Nystagmus auf.

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Weiterhin kann das Vestibularorgan (Gleichgewichtsorgan) auch mittels kalorischer Reizung überprüft werden. Dazu werden die horizontalen Bogengänge nacheinander mit kaltem oder warmem Wasser erregt, wodurch beim Gesunden ebenfalls ein Nystagmus mit bestimmter Richtung auftritt.

Unter einem Nystagmus versteht man Augenbewegungen mit einer langsamen und einer schnellen Komponente in der Horizontalen (rechts, links). Die Richtung der schnellen Komponente gibt dem Nystagmus seinen Namen (Rechts- oder Linksnystagmus).

Wie kann man das Gleichgewicht trainieren?

Das Gleichgewicht ist genauso wie die Kraft, die Ausdauer oder die Schnelligkeit trainierbar. Ein gutes Beispiel dafür sind Kleinkinder, die sich durch wiederholtes Versuchen von einem unsicheren zu einem sicheren Gangbild entwickeln.
Daher liegt dieser Transfer nahe und Sportler jeden Alters sollten in der Lage sein ihr Gleichgewicht zu verbessern und zu trainieren. Auch bei Patienten kann das Gleichgewicht durch gezieltes Training verbessert werden. Problematisch wird es nur dann, wenn das Gleichgewicht vernachlässigt wird und unser Gleichgewicht sich dadurch zurück entwickelt.

Es gibt viele Gründe warum das Gleichgewicht trainiert werden sollte. Ältere Menschen können so ihr Gangbild verbessern und sind bei alltäglichen Bewegungen sicherer auf den Beinen. Das sichert auch im hohen Alter noch Selbständigkeit und Mobilität und damit auch ein Stück Lebensgefühl.

Übungen zum Gleichgewicht sind hauptsächlich im Stehen durchzuführen, da man im sitzen und liegen das Gleichgewicht nicht so gut trainieren kann. Ein gutes Gleichgewichtstraining sollte am besten am späten Vormittag oder am späten Nachmittag durchgeführt werden, da der Körper zu dieser Zeit in der Regel am aktivsten ist. Üblicherweise sollte man sich ungefähr eine halbe Stunde Zeit für sein Gleichgewichtstraining nehmen und genügend Ruhe und Platz finden.

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Um das Gleichgewicht zu verbessern, muss man den Körper in eine Situation bringen, in der das Gleichgewicht gefordert wird. Wenn wir zum Beispiel in den Einbeinstand gehen, dann erhält der Kopf, auf Grund der Sinneswahrnehmung, die Information, dass der Stand unsicherer geworden ist und versucht dann Ausgleichsbewegungen im Fußgelenk oder den Armen zu veranlassen. Eine weitere Stufe ist das Schließen der Augen, sodass dem Körper erneut wichtige Informationen zum Beibehalten des Gleichgewichts fehlen. Um nicht hinzufallen, ändert das Gehirn seine Taktik und verstärkt die Eindrücke der anderen Sinnesorgane. Der eigentliche Trainingseffekt beim Gleichgewichtstraining ist die flexible Anpassung des Gehirns an neue Gegebenheiten. Informationen werden effektiver ausgewertet, um fehlende Informationen ausgleichen zu können.

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Man sollte bei einem Gleichgewichtstraining mit entsprechend leichten Übungen beginnen und sich dann mit der Zeit immer weiter steigern. Außerdem empfiehlt es sich zu Beginn eine weiche Unterlage zu benutzen, damit bei einem eventuellen Sturz nicht viel passieren kann.

Übungen zum Verbessern des Gleichgewichts

Generell kann man Gleichgewichtsübungen immer und überall machen, allerdings lassen sie sich im Stehen oder während des Gehens am besten durchführen. Zusätzlich können auch Kleingeräte für das Gleichgewichtstraining eingesetzt werden.

  • Erste Übung ist das Gewichtverlagern im aufrechten Stand in alle Richtungen, ohne dabei einen Ausfallschritt zu benötigen. Der Oberkörper ist aufgerichtet und der Blick richtet sich nach vorne. Die Füße stehen dicht zusammen und die Arme sind seitlich am Oberkörper angelegt. Nun wird der Körperschwerpunkt zuerst nach vorne verlagert. Der Schwerpunkt soll nur so weit verlagert werden, dass man nicht aus dem Gleichgewicht kommt und man sollte die sich ändernde Druckbelastung unter den Fußsohlen spüren.
  • Eine weitere Übung ist der so genannte Seiltänzerstand, bei dem die Ausgangsstellung etwas anders als beim seitlichen Verlagern ist . Die Füße stehen hintereinander auf einer gedachten Linie und die Arme sind zur Sicherung des Gleichgewichts seitlich ausgestreckt. Nun beginnt man den Kopf im Wechsel zur Decke und zum Boden zu drehen. Weitere Varianten sind die Augen zu schließen und wieder zu öffnen, die Arme auf und ab zu bewegen oder den Kopf nach rechts und nach links zu drehen.
  • Der Einbeinstand ist eine weitere klassische Gleichgewichtsübung die mit verschiedenen Variationen kombiniert werden kann. Wenn man auf seinem rechten Bein steht, kann man das linke Bein zum Beispiel anwinkeln und die Hände in die Hüfte nehmen. Man kann die Arme allerdings auch ausstrecken oder vor der Brust verschränken. Man kann sich auf den Fußballen oder die Ferse stellen, die Übung alleine oder mit einem Partner durchführen und die Augen offen oder geschlossen halten.
  • Sprungschritte sind eine dynamische Gleichgewichtsübung, bei der man nicht auf einer Stelle steht und das Gleichgewicht schult, sondern sich durch den Raum bewegt. Man beginnt auf einem Bein und macht nun einen Sprung, nachdem landet man auf dem anderen Bein. Anschließend macht man erneut einen Sprung und landet wieder auf dem Ausgangsbein. Bei dieser Übung kann man die Arme zur Kontrolle des Gleichgewichts benutzen oder mit Variationen die Beweglichkeit bewusst einschränken. Außerdem kann die Übung bei offenen oder geschlossenen Augen durchgeführt werden, um den Schwierigkeitsgrad zu variieren. Zusätzlich kann man die Sprungweite verändern, man kann mit kleinen Sprüngen beginnen und die Abstände langsam aber stetig vergrößern.

Erkrankungen des Gleichgewichtsorgans

Morbus Meniere

Morbus Menière oder auch Menière-Krankheit ist eine Erkrankung des Innenohrs, welche sich durch die drei charakteristischen Symptome Schwindelattacken, Ohrgeräusche und Schwerhörigkeit äußert. Die Schwindelattacken setzen meist plötzlich und unvorhersehbar ein und können von einigen Minuten bis sogar Stunden andauern. Bei den Betroffenen scheint sich alles zu drehen und sie leiden unter Übelkeit und Erbrechen. Das Ohrensauen (Tinnitus) ist gepaart mit einem Hörverlust auf der betroffenen Seite. Die Symptome sind in der Regel nur auf einem Ohr bemerkbar.

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Die Menière-Anfälle treten schubweise auf und wiederholen sich in unregelmäßigen Abständen. Am häufigsten betroffen sind Personen zwischen dem 40. und 60. Lebensjahr.Die Ursache für diese Erkrankung ist ein sogenannter "endolymphatischer Hydrops". Dabei kommt es in Folge einer Mineralsalzverschiebung (Elektrolyte) zu einer Volumenzunahme der Endolymphe im Innenohr, welche dadurch gedehnt wird und ihren Druck erhöht und damit falsche Sinneseindrücke detektiert.

Was diese Flüssigkeitszunahme auslöst, konnte bisher noch nicht geklärt werden. Dies erschwert auch die Therapie der Menière-Krankheit. Man kann lediglich die Symptome behandeln. Einerseits helfen Medikamente gegen Schwindel (Antivertiginosa) und gegen Übelkeit (Antiemetika) bei akuten Attacken. Zeitgleich lindern diese Medikamente die Stärke eines Anfalls. Eine Alternative dazu sind Medikamente wie Betahistin zur Vorbeugung (Prophylaxe), die die Zahl der Attacken mindern sollen.

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Lagerungsschwindel

Der Lagerungsschwindel, medizinisch auch benigner, paroxysmaler Lagerungsschwindel (BPLS – gutartiger, anfallsartiger Lagerungsschwindel) genannt, ist ein Schwindelgefühl, das bei bestimmten Bewegungen oder Veränderungen der Körperlage auftritt.

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Der Lagerungsschwindel ist prinzipiell eine harmlose Erkrankung, für die Betroffenen aber meist sehr unangenehm. Sie reden oft vom "Karussell im Kopf". Die plötzliche Schwindelattacke tritt häufig bei raschen Veränderungen der Kopfposition wie zum Beispiel beim Aufrichten aus einer Liegeposition, schnelles Bücken nach vorne oder Umdrehen im Bett auf und dauert in der Regel nur wenige Sekunden an. Hintergrund dieser Schwindelattacken sind winzige, abgelöste Ohrsteine (Otolithen) im Innenohr.

Bei Bewegungen des Kopfes lösen diese eine Art Sog in der Endolymphflüssigkeit aus und täuschen dem Gehirn eine starke Beschleunigung vor. Die Sinneszellen des Auges hingegen liefern ein stehendes, sich nicht bewegendes Bild. Diese widersprüchlichen Informationen lösen beim Betroffenen eine Schwindelattacke aus. Therapeutisch kann ein HNO-Arzt spezielle Lagerungsmanöver beim Patienten durchführen, sodass die kleinen Ohrsteine die Bogengänge verlassen und dort zum Liegen kommen, wo sie keine Schwindelattacken mehr auslösen.

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Autor: Dr. Nicolas Gumpert Veröffentlicht: 08.03.2011 - Letzte Änderung: 25.07.2023