Eine Differenzialdiagnose wird vom Arzt gestellt, wenn mehrere Erkrankungen oder Diagnosen zu den vom Patienten beschriebenen Symptomen passen. Durch ein gründliches Arzt-Patientengespräch und anschließende Untersuchungen muss der Arzt die verschiedenen Differenzialdiagnosen ausschließen oder bestätigen, um zu einer Verdachtsdiagnose zu kommen, in deren Richtung er weiter untersuchen kann.
Ein Patient kommt üblicherweise mit Symptomen zum Arzt, die er selbst keiner bestimmten Krankheit zuordnen kann. Der Arzt hat nun die Aufgabe, durch ein Patientengespräch, körperliche und apparative Untersuchungen eine Differenzialdiagnose zu erstellen.
Die Differenzialdiagnose umfasst Krankheiten, die mit ähnlichen oder den gleichen Symptomen wie die vom Patienten beschriebenen Symptomen auftreten und deshalb ebenfalls bei der Diagnosestellung in Betracht gezogen werden müssen.
Die Differenzialdiagnosen müssen von der Verdachtsdiagnose abgegrenzt werden. Dies geschieht mit Hilfe der sogenannten Differentialdiagnostik: Dazu gehören alle Untersuchungen, die dem Ausschluss oder der Bestätigung einer Krankheit dienen, die eine Differenzialdiagnose zur Verdachtsdiagnose darstellt.
Ein fiktives Beispiel: Nach dem Patientengespräch kommen zwei mögliche Erkrankungen als Erklärung für die Beschwerden des Patienten in Betracht. Eine der Krankheiten geht mit Auffälligkeiten im Ultraschall einher, die andere nicht.
Also wird der Arzt durch eine Ultraschalluntersuchung klären, welche der beiden Differenzialdiagnosen die eigentliche Diagnose darstellt.
Je charakteristischer ein Symptom für eine bestimmte Erkrankung ist, desto kleiner ist die Anzahl der möglichen Differenzialdiagnosen. Bei allgemeineren Symptomen wie Fieber ist die Zahl der Differenzialdiagnosen dagegen groß, weil viele Erkrankungen mit Fieber einhergehen können.
Um eine Differenzialdiagnose zu erstellen, beginnt der Arzt oder die Ärztin mit einem Patientengespräch. Während der sogenannten Anamnese möchte der Arzt herausfinden, welche aktuellen Beschwerden der Patient hat, welche früheren oder chronischen Krankheiten bestehen und welche Krankheiten in der Familie vorliegen.
Der Arzt braucht weiterhin Informationen über die Medikamente, die der Patient einnimmt und über sein soziales und berufliches Umfeld.
All diese Dinge sind wichtig, damit der Arzt die aktuellen Beschwerden einordnen kann und keine Symptome oder Faktoren vergessen werden, die in Zusammenhang mit der Krankheit des Patienten stehen.
Durch ein ausführliches Anamnesegespräch kann der Arzt mögliche Krankheiten ausschließen und eine Verdachtsdiagnose mitsamt alternativen Differenzialdiagnosen erstellen.
Die verschiedenen Differenzialdiagnosen haben beispielsweise im Verlauf oder in den beschriebenen Symptomen des Patienten sowohl Gemeinsamkeiten, als auch Unterschiede.
Durch eine gründliche körperliche Untersuchung findet der Arzt weitere Symptome oder Befunde, die für oder gegen eine der Differenzialdiagnosen sprechen. Laboruntersuchungen, Ultraschalluntersuchungen, Röntgen, CT, MRT und andere Untersuchungen liefern weitere Hinweise für oder gegen eine mögliche Differenzialdiagnose.
Natürlich sind nicht immer alle Untersuchungen nötig, um die Krankheit des Patienten zu erkennen, weil im Verlauf der verschiedenen diagnostische Untersuchungen nach und nach Differenzialdiagnosen ausgeschlossen werden können.
Einen besonderen Stellenwert hat eine gründliche Differenzialdiagnostik beim Stellen sogenannter Ausschlussdiagnosen. Dies sind Diagnosen, die nur dann gestellt werden dürfen, wenn alle anderen möglichen Differenzialdiagnosen durch Anamnese, körperliche und apparative Untersuchungen sicher ausgeschlossen werden konnten.
Ein Beispiel ist das Reizdarmsyndrom, das Magen-Darm-Beschwerden bezeichnet, für die keine körperliche Ursache gefunden werden kann.
Die Neuromyelitis optica Spektrum Erkrankungen (NMO-SD, früher auch Devic-Syndrom) galten lange Zeit als Unterform der Multiplen Sklerose (MS), stellen jedoch inzwischen eine eigene Krankheitsgruppe dar.
Gemeinsam ist den beiden Krankheiten die demyelinisierende Entzündung (Entmarkung der Nervenscheiden).
Bei den NMO-SD sind vor allem das Rückenmark und der Sehnerv betroffen.
Typisch ist eine langstreckige Entzündung des Rückenmarks über drei oder mehr Segmente, die Sensibilitätsstörungen und/oder Lähmungen, sowie eine Entzündung des Sehnervs mit Sehverschlechterung und Schmerzen beim Bewegen der Augen auslöst.
In vielen Fällen ist entweder das Rückenmark oder der Sehnerv zuerst alleine betroffen. Im Gehirn können bei etwa 50% der NMO-SD-Patienten ebenfalls Entzündungsherde nachgewiesen werden, die sich von den Entzündungsherden der Multiplen Sklerose aber deutlich unterscheiden.
Genau wie die MSverlaufen die NMO meistens schubartig, die Symptome bilden sich aber meistens nicht spontan und nicht vollständig zurück, wie es bei der MS häufig der Fall ist.
Die NMO-SD haben insgesamt einen schweren Verlauf als die MS, die Patienten sind schneller auf fremde Hilfe angewiesen.
Die NMO-SD sind durch in ca. 70% der Fälle durch positive Aquaporin-Antikörper oder alternativ MOG-Antikörper im Blut von anderen entzündlichen demyelinisierenden Erkrankungen des Nervensystems abgegrenzbar.
Eine Abgrenzung zur MS ist auch deshalb möglich, weil bei den NMO-SD seltener oligoklonale Banden im Liquor (Nervenwasser) zu finden sind (bei der multiplen Sklerose 95%, siehe: Liqourdiagnostik bei Multipler Sklerose).
Lesen Sie mehr zum Thema unter: Diagnose einer Multiplen Sklerose und NMO-SD
Die Akute disseminierte Enzephalomyelitis (ADEM) ist ebenfalls eine entzündliche Erkrankung des zentralen Nervensystems, die mit einer Entmarkung der Nervenscheiden einhergeht.
Die ADEM betrifft im Unterschied zur Multiplen Sklerose vor allem Kinder und junge Erwachsene und tritt häufig nach einem Infekt, vor allem der oberen Atemwege, auf. Nach einer Masernimpfung tritt die ADEM mit einer Wahrscheinlichkeit von 1: 1 Mio. auf, bei einer Maserninfektion ist die Wahrscheinlichkeit dreimal so hoch und liegt bei 1: 1.000.
Die ADEM tritt im Gegensatz zur MS nicht schubförmig, sondern meist einmalig auf. Ein sich wiederholender Verlauf ist selten, 90% der Patienten erholen sich vollständig von der Erkrankung.
Die ADEM präsentiert sich mit Übelkeit, Erbrechen, Kopfschmerzen, Meningismus (starke Schmerzen beim Bewegen des Kopfes auf die Brust), Verwirrtheit und verschiedenen neurologischen Symptomen, die der MS sehr ähnlich sein können.
Die erwähnten Begleitsymptome sind bei einer MS aber selten. In der Bildgebung des Kopfes unterscheiden sich die Verteilungsmuster der entzündlichen Läsionen bei MS und ADEM: Die ADEM tritt eher im Bereich der Hirnrinde und in tiefen Hirnkernen auf, die MS eher um das Ventrikelsystem herum.
Neben der Bildgebung kann eine Liquorpunktion bei der Unterscheidung helfen: Bei der MS sind die oligoklonalen Banden nahezu immer vorhanden, bei der ADEM deutlich seltener.
Lesen Sie mehr zum Thema unter: Entzündung des Rückenmarks
Im Folgenden werden verschiedene Differenzialdiagnosen der Depression beschrieben.
Lesen Sie mehr zum Thema unter: Depression
Die somatogene Depression kann als Folge oder Begleitsymptom einer körperlichen Erkrankung auftreten, sie wird dann als symptomatische Depression bezeichnet.
Beispiele sind eine Schilddrüsenunterfunktion, Bluthochdruck, Diabetes oder Tumorerkrankungen. Eine symptomatische Depression kann auch als Nebenwirkung von Medikamenten auftreten.
Eine organische Depression lässt sich auf strukturelle Veränderungen des Gehirns zurückführen, sie tritt zum Beispiel nach einem Schlaganfall oder im Rahmen einer Demenz in Folge der Hirnatrophie auf.
Die Erkrankung der rezidivierenden kurzen depressiven Störung äußert sich durch depressive Episoden, die nur wenige Tage (zwei bis vier Tage) anhalten, dafür aber häufiger wiederkehren.
Treten nicht nur Symptome einer Depression, sondern auch Symptome einer Psychose auf, liegt eine psychotische Depression vor.
Typisch ist das Auftreten von Wahnideen: Patienten leiden unter den wahnhaften, nicht korrigierbaren Überzeugungen zu verarmen, unheilbar krank oder wertlos zu sein (Verarmungswahn, hypochondrischer bzw. nihilistischer Wahn).
Die Dysthymia beschreibt eine depressive Verstimmung, die mindestens zwei Jahre andauert. Patienten fühlen sich müde und niedergeschlagen und leiden unter Schlafstörungen. Hinzu kommt das Gefühl, nicht gut genug zu sein.
Unterschied zur Depression ist der deutlich geringere Schweregrad der Symptome, weshalb Patienten mit Dysthymia die Anforderungen des Alltags meist bewältigen, ihr Leben aber nicht genießen können und alles als sehr anstrengend empfinden.
Patienten, die unter Zyklothymia leiden, leiden unter einer sehr instabilen Stimmungslage, die nicht in Bezug zu besonders positiven oder negativen Lebensereignissen auftreten. Es treten immer wieder leicht depressive Phasen und Phasen mit gehobener, leicht manischer Stimmung auf. Die Erkrankung beginnt im jungen Erwachsenenalter, eine ärztliche Behandlung ist meistens nicht nötig.
Lesen Sie mehr zum Thema unter: Manie
Die bekannteste Form der saisonalen Depression ist die Winterdepression, die vor allem Frauen betrifft. Die Betroffenen leiden im Herbst und Winter unter Antriebsarmut, Müdigkeit und Verlust ihrer Interessen, sind im Frühling und Sommer aber komplett beschwerdefrei. Behandelt wird mit Lichttherapie (spezielle 10.000 Lux-Lampe).
Lesen Sie mehr zum Thema unter: Winterdepression
Etwa 10% der Frauen, die ein Kind entbunden haben, erkranken innerhalb der ersten Wochen nach der Geburt an einer Wochenbettdepression.
Diese kann mehrere Monate anhalten, geht aber in den meisten Fällen mit milden Depressionssymptomen einher und kann deshalb meist ambulant mit Medikamenten behandelt werden.
Angsterkrankungen stellen eine wichtige Differenzialdiagnose zur Depression dar, da eine Angststörung mit depressiven Symptomen einhergehen kann und eine Depression mit verschiedenen Ängsten. Die Abgrenzung sollte durch einen erfahrenen Arzt erfolgen.
Lesen Sie mehr zum Thema unter: Liste bekannter Angststörungen
Eine Übersicht aller Themen aus dem Bereich der Diagnostik finden Sie unter: Diagnostik A-Z