Die Anamnese stellt das Arzt-Patienten-Gespräch dar und dient dem Beschaffen von Hintergrundinformationen, die für die Diagnosestellung wichtig sein könnten. Wichtige Bestandteile sind die aktuelle, die psychische und die vegetative Anamnese sowie die Genussmittel-, Familien-, Sozial- und Medikamentenanamnese.

Anamnese

Allgemeines

Die Anamnese spielt eine wichtige Rolle in der Diagnosefindung von Erkrankungen und wird meist von einem Arzt oder anderem medizinischen Personal durchgeführt.
Es handelt es sich um das gezielte Stellen von Fragen mit dem Ziel, alle relevanten medizinischen Hintergrundinformationen, die für die Stellung einer korrekten Diagnose oder Therapie wichtig sind, zu erfahren.

Die Anamnese läuft jedoch keinesfalls immer gleich ab.
So unterscheiden sich die Fragen teils enorm, je nach Erkrankung und Zustand des Erkrankten. So kann die Anamnese aus unterschiedlichen Gesichtspunkten betrachtet und eingeteilt werden.
Eine der wichtigsten Grundvoraussetzungen bei einer Anamnese stellt ein gutes Arzt-Patienten Verhältnis dar. Wenn sich ein Patient bei dem behandelnden Arzt gut aufgehoben fühlt, ist es wahrscheinlicher, dass auch unangenehme Details, welche für die Diagnosefindung von Bedeutung sein können, mit dem Arzt geteilt werden.

Einteilung

Die Anamnese wird üblicherweise in vier große Gruppen eingeteilt.
So kann eine Anamnese nach der befragten Person eingeteilt werden. Eine Anamnese, welche auf die Aussagen des Patienten beruht, wird Eigenanamnese genannt.
Wenn die Aussagen über den Betroffenen von Familienangehörigen oder anderen Personen getroffen werden, da der Patient aus unterschiedlichen Gründen nicht in der Lage ist, die Aussagen über sich selbst zu treffen, spricht man von einer Fremdanamnese.

Eine weitere häufige Einteilung der Anamnese richtet sich nach dem Gegenstand der Befragung. Hierbei unterscheidet man hauptsächlichen zwischen der

  • Aktuellen Anamnese

  • Vegetativen Anamnese

  • Medikamentenanamnese

  • Psychischen Anamnese

  • Sozial- und Familienanamnese

  • Genussmittel-/Drogenanamnese

In einer umfangreichen Anamnese (beispielsweise bei einem Erstgespräch mit dem zukünftigen Hausarzt) sollten alle genannten Punkte besprochen werden. In bestimmten Situationen von akuten Erkrankungen müssen typischerweise nicht alle möglichen Fragestellungen beantwortet werden.

Eine weitere Einteilungsmöglichkeit der Anamnese ist eine Befragung nach einem bestimmten Themengebiet. So sind bei dem Symptom einer akuten Atemnot andere Themengebiete von Interesse, als bei Bauchschmerzen. Alle Fragen, die keinem speziellen Themengebiet untergeordnet werden können, fallen in dieser Einteilung unter die Allgemeine Anamnese, wohingegen spezielle Fragestellungen unter eine Spezielle oder Akutanamnese fallen.

Eine letzte, spezielle Einteilung der Anamnese bezieht sich auf bestimmte medizinische Fachrichtungen. So existieren besonders in den Fachrichtungen Urologie, Gynäkologie, aber auch in bestimmten Fachrichtungen der Inneren Medizin spezielle Fragestellungen, die besonders relevant sind, und deshalb in keiner Anamnese in diesen Einrichtungen fehlen dürfen.

Ablauf

Die Beschreibung des Ablaufs einer „typischen“ Anamnese ist schwierig, da je nach Fachrichtung und Grund für den Arzt-Patienten Kontakt, die Anamnese sehr unterschiedlich sein kann. Außerdem hat jeder behandelnde Arzt einen leicht abweichenden Stil, was die Reihenfolge der Anamnese betrifft, sodass auch aus diesem Grund die individuelle Anamnese unterschiedlich sein kann. Je nach Typus der Anamnese ist ein einheitliches Schema nicht immer möglich. So unterscheidet sich beispielsweise eine Sozialanamnese von einer psychischen Anamnese in vielerlei Hinsicht.

Es gibt jedoch einige Grundvoraussetzungen die bei den meisten regulären Anamnesen gegeben sein sollten. So sollte bei einer Anamnese ein Vertrauensverhältnis zwischen dem behandelnden Arzt und der betroffenen Person herrschen. Dazu gehört, dass, wenn nicht unbedingt nötig, sich keine anderen Personen im Zimmer aufhalten sollten, als der Arzt und die befragte Person. Es sollte eine angenehme und ruhige Atmosphäre geschaffen werden, bei der sich der Patient wohl fühlt auch intime Fragen zu beantworten, da diese unter Umständen hilfreich für die Diagnosefindung sein können.

Eine Anamnese steht vor dem Beginn der meisten medizinischen Handlungen. Bevor einem Patienten geholfen werden kann, ist es wichtig, Hintergrundinformationen über den Menschen zu erfahren, sowie über Ereignisse, Gewohnheiten oder Vorerkrankungen, die eine Behandlung unter Umständen beeinflussen könnten.
Begonnen wird hierbei meist mit einer offenen Fragestellung, damit der Patient seine Krankengeschichte möglichst ohne Unterbrechung vortragen kann. Danach folgen konkrete Fragen des Therapeuten zu den geschilderten Problemen.

Bei einer Anamnese, welche krankheitsbezogen ist, also aufgrund einer speziellen Problematik durchgeführt wird, muss zunächst eine Akutanamnese erfolgen. Durch die Beschreibung der akuten Problematik kann der behandelnde Arzt feststellen, ob akuter Handlungsbedarf herrscht, oder ob die restliche Anamnese in Ruhe durchgeführt werden kann. Nach der Beschreibung der akuten Symptomatik, die neben den Beschwerden auch die Ängste oder Sorgen der Patienten erfassen sollte, folgt in aller Regel die allgemeine Anamnese.

Je nach Fachgebiet liegt jedoch der Schwerpunkt der Anamnese auf der psychischen oder sozialen Fragestellung, weswegen die Allgemeinanamnese in den Hintergrund rückt. Besonders bei Erkrankungen, die psychischen Hintergrund haben, ist eine gründliche Anamnese wichtig, da diese einen entscheidenden Teil in der richtigen Diagnosestellung spielen kann. Die spezifischen Fragen für die Stellung der Diagnose unterscheiden sich jedoch typischerweise stark von denen in der Allgemeinmedizin.

Akute Anamnese

Die akute Anamnese beschäftigt sich mit Beschwerden, die aktuell im Vordergrund stehen. Sie steht im Vordergrund und am Anfang in vielen Situationen, da sichergestellt werden soll, dass keine lebensbedrohlichen Situationen übersehen werden, bevor zu anderen, weniger akuten Fragestellungen übergegangen wird.
So kann bei starken Schmerzen unter Umständen schon nach der Akutanamnese Handlungsbedarf herrschen, bevor zu der vegetativen Anamnese übergegangen wird.
Typischerweise wird die Akutanamnese mit sogenannten „W-Fragen“ durchgeführt. Diese sollen die Quantität und Qualität der Beschwerden näher beschreiben. So ist der Ort (Wo?), die Art (Was?), der Schweregrad (Wie stark?), der zeitliche Zusammenhang (Wann?), mögliche auslösende Faktoren (Wodurch?), sowie der sogenannte Grad der Behinderung (Was geht nicht?) im Zusammenhang mit den Beschwerden zu nennen.
Diese Informationen helfen dem behandelnden Arzt schließlich die richtige Diagnose zu stellen und Gegenmaßnahmen einzuleiten.

Die aktuelle Anamnese beschäftigt sich jedoch nicht ausschließlich mit den Beschwerden, die aktuell vorliegen, sondern schließt auch eine Frage zu dem Verlauf der Erkrankung ein. So ist es von Bedeutung, wann und wie lange die Erkrankung schon andauert, sowie ob die erkrankte Person unter Umständen selbst eine Erklärung für die eigenen Beschwerden hat. Auch die Frage nach bestehenden Vorerkrankungen kann in die Kategorie der akuten Anamnese fallen, da diese Informationen über die Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen einiger Erkrankungen liefert.

Vegetative Anamnese

Die vegetative Anamnese beschäftigt sich mit den rein körperlichen Hintergründen der Beschwerden. Hierzu gehören Gewichtsveränderungen in beide Richtungen der letzten Monate, Schlafstörungen, Appetit, Allergien, sowie Stuhlgang und das Wasserlassen. Bei Frauen schließt die vegetative Anamnese außerdem Fragen zur Regelblutung ein.

Medikamentenanamnese

Die Medikamentenanamnese ist ein wichtiger Bestandteil der Anamnese in fast jeder Situation. Sie liefert Informationen über die Einnahme aktueller Medikamente und kann so Diagnosefindung und Therapie entscheidend beeinflussen. Unter Umständen kann die Medikamentenanamnese außerdem ein Hinweis auf bestimmte Symptome sowie auf das Vorliegen von Erkrankungen sein, wenn der Patient sich zwar nicht mehr an die Erkrankung erinnern kann, jedoch die Tabletten dagegen dabei hat.

Psychische Anamnese

Die psychische Anamnese ist ein wichtiger Bestandteil in der Diagnosestellung von Erkrankungen wie Depression, Angststörungen, sowie psychotischen Krankheitsbildern. Besonders bei der Diagnosestellung einer Depression stellt die Anamnese die einzige Methode dar, diese sicher zu erkennen. Hierbei ist es besonders wichtig, dass ein Vertrauensverhältnis zwischen dem Patienten und dem Arzt herrscht, damit die Fragen ehrlich beantwortet werden und die Aussagekraft der Anamnese nicht geschwächt ist.

Sozial- und Familienanamnese

Eine Sozialanamnese liefert dem behandelnden Arzt einen Überblick über die Situation, in der sich die betroffene Person befindet. Sie ist notwendig, da Einflüsse des sozialen Umfelds, Konflikte, Beziehungen, und kulturelle Hintergründe einen Einfluss auf die Krankheitswahrnehmung und Verarbeitung sind.
Wichtig ist außerdem eine Angabe über den geführten Lebensstil, der einen Einblick in den Umgang mit Krankheit sowie eine Einschätzung der gegebenen Risikofaktoren bietet.
In bestimmten Situationen ist eine Einschätzung über das soziale Netzwerk eines Patienten von enormer Bedeutung für eine spätere Therapie. So kann eine Krankenhauseinweisung für eine allein lebende Person notwendig sein, wenn eine Person, welche mit Angehörigen oder mit Partner wohnt, zu Hause kuriert werden kann.
Die Sozialanamnese schließt eine Frage nach dem aktuell beziehungsweise hauptsächlich ausgeübten Beruf ein, um eine Exposition gegenüber bestimmten relevanten Stoffen auszuschließen, sowie die physikalische Beanspruchung des Berufs einschätzen zu können.

Die Familienanamnese gibt Aufschluss darüber, ob bestimmte Erkrankungen gehäuft bei direkten Angehörigen vorkommen und gegebenenfalls ursächlich für die aktuellen Beschwerden sein könnten. Genetisch vererbte Erkrankungen bei denen bekannt ist, dass Angehörige an diesen erkrankt sind, können außerdem ein Hinweis auf vorliegende Erkrankungen sein.

Genussmittel- und Drogenanamnese

Fragen zu dem wöchentlichen Konsum von Nikotin, Alkohol und anderen Drogen stellen für viele Patienten ein sensibles Thema dar. Da es jedoch eine enorm große Rolle in der Entstehung von einer Reihe von Krankheitsbildern hat, sind Fragen hierzu naheliegend.

Wichtig ist es, dass der Patient ehrlich auf diese Fragen antwortet, damit eine Diagnose gestellt, und die richtige Therapie eingeleitet werden kann. Besonders bei diesen Fragestellungen ist ein starkes Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patienten sehr wichtig.

Besonderheiten

In bestimmten Situationen rückt die Priorität eine Anamnese in den Hintergrund. So kommt beim Rettungsdienst eine weniger ausführlichere Anamnese zum Einsatz, die ausschließlich die Dinge behandelt, die für die akute , unter Umständen lebensbedrohliche Situation wichtig ist.

Eine Fremdanamnese, also eine Anamnese einer Person, die Fragen nicht für sich selbst beantworten kann oder will, kann bei sehr alten oder erkrankten Personen, bewusstlosen Personen, Kindern, nicht deutschsprachigen Patienten, sowie dann erhoben werden, wenn der behandelnde Arzt Zweifel an der Richtigkeit der Aussagen des Patienten hat.

Was folgt nach einer Anamnese?

In den meisten Fällen folgen nach der Anamnese weitere Methoden der medizinischen Diagnostik.
Hierzu gehört eine körperliche Untersuchung des Betroffenen, bildgebende Untersuchungen (Ultraschall, MRT, CT, Röntgen), sowie eine Blutabnahme zur Bestimmung diagnostisch relevanter Werte im Blut.
Nach der Stellung der Diagnose folgt eine Einleitung der Therapie, die vorerst mit dem betroffenen Patienten besprochen wird. In diesem Gespräch erhält der Patient unter Umständen einen Einblick darüber, inwiefern die eigenen Angaben dazu beigetragen haben, dass die richtige Diagnose gefunden werden konnte.

Weiterführende Informationen

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Autor: Dr. Nicolas Gumpert Veröffentlicht: 11.12.2014 - Letzte Änderung: 22.10.2021