Retikulozyten sind unreife rote Blutkörperchen (sog. Erythrozyten). Sie besitzen keinen Zellkern mehr, sind aber durchaus noch in der Lage Stoffwechselprozesse zu betreiben, da einige Zellorganelle noch funktionsfähig sind. Zu diesen Zellorganellen gehört das endoplasmatische Retikulum. Zusätzlich ist die Erbinformation (RNA) im Retikulozyten gespeichert.
Retikulozyten werden im Knochenmark gebildet und gelangen in den Blutkreislauf. Die Reifung im Blut erfolgt innerhalb von einem Tag - hierbei wird die RNA und das endoplasmatische Retikulum ausgestoßen. Nach diesem Reifungsprozess ist aus dem Retikulozyt nun ein Erythrozyt entstanden.
In der Diagnostik ist die Zahl der Retikulozyten von Relevanz, da man so die Knochenmarksaktivität beurteilen kann.
Die Retikulozyten Werte werden im Verhältnis zu den Erythrozyten (roten Blutkörperchen) angegeben: Also die Anzahl der Retikulozyten pro 1000 Erythrozyten (‰).
Der Referenzbereich liegt bei etwa 30.000 - 80.000 ul/Blut. Der Referenzbereich kann allerdings je nach Labor etwas variieren und sollte bei der Auswertung berücksichtigt werden.
Der Retikulozytenproduktionsindex stellt einen genaueren Wert zur Beurteilung des Reifungsprozesses der Erythrozyten dar. In der medizinischen Fachsprache wird dieser Reifungsprozess als Erythropoese bezeichnet. Er berechnet sich wie folgt:
(Retikulozytenzahl in Prozent x tatsächlicher Hämatokrit : Shift in Tagen x normaler Hämatokrit von 45)
Es werden zwei spezifische Faktoren für die Berechung berücksichtigt - einmal der Hämatokrit und einmal der Retikulozytenshift. Der Hämatokrit beschreibt den Anteil der zellulären Bestandteile des Blutes. Der Normbereich liegt bei Frauen bei 33% - 43% und bei Männern bei 39% - 49%. Zur Bestimmung des Indexes wird der Hämatokrit allerdings auf einen Wert von 45% festgelegt. Dadurch kann man die Werte besser miteinander vergleichen.
Der Retikulozytenshift hingegen verschreibt eine Verschiebung - es befinden sich vermehrt Retikulozyten im Blut anstatt im Knochenmark. Den Shift setzt man noch in Abhängigkeit von dem Hämatokrit.
Bei gesunden Menschen liegt der Wert des Retikulozytenproduktionsindex bei eins. Falls eine Blutarmut vorliegt, kann man sehen ob diese durch eine gestörte Erythropoese bedingt ist. Der Wert liegt in diesem Fall unter 2.
Die klassische Erkrankung, die mit einer erhöhten Retikulozytenzahl einhergeht, ist die Anämie. Die Anämie beschreibt eine Blutarmut. Sie ist durch eine erniedrigte Erythrozytenzahl, also eine reduzierten Anzahl von roten Blutkörperchen, oder durch eine erniedrigte Konzentration vom roten Blutfarbstoff (sog. Hämoglobin) charakterisiert.
Der Körper versucht die Blutarmut zu kompensieren indem das Knochenmark vermehrt Retikulozyten bildet und diese an das Blut abgibt. Im Blutbild macht sich diese Veränderung als sogenannte Retikulozytose bemerkbar. Darüber hinaus spricht eine erhöhte Produktion von Retikulozyten gegen einen Eisen- oder Vitaminmangel.
Eine Retikulozytose kann auch nach einer starken Blutung vorkommen. Viele Erythrozyten sind durch die Blutung untergegangen und es herrscht ein Mangel. Der Körper versucht dies zu kompensieren indem er vermehrt Retikulozyten bildet. Nach dem Reifungsprozess entstehen die notwendigen Erythrozyten.
Eine weitere Ursache, die zu erhöhten Werten führen kann, ist die Hypoxie. Die Hypoxie beschreibt einen Zustand der Sauerstoffunterversorgung. Dadurch kann das Gewebe nicht mehr ausreichend mit Sauerstoff versorgt werden und geht unter. Um diesen Zustand zu verhindern, reagiert der Körper wieder mit einer erhöhten Bildung von roten Blutkörperchen. Im Blutbild kann man eine erhöhte Anzahl von den Vorläuferzellen, also den Retikulozyten finden.
Informieren Sie sich hier über das Thema: Die Blutarmut.
Es sind verschiedene Erkrankungen bekannt, die zu einer Erniedrigung der Retikulozytenzahl führen. Beispielsweise kann eine chronische Niereninsuffizienz eine Blutarmut mit reduzierter Retikulozytenzahl verursachen. Die Niere ist der Bildungsort für das sogenannte Erythropoetin. Hierbei handelt es sich um ein Hormon, welches als Wachstumsfaktor für die Bildung von roten Blutkörperchen (Erythrozyten) fungiert. Bei einer Niereninsuffizienz wird dieses Hormon vermindert gebildet. Dies wiederum führt zu einer reduzierten Synthese der roten Blutkörperchen.
Eine weitere Erkrankung ist das Myelodysplastische Syndrom. Das Syndrom beschreibt eine Gruppe von Erkrankungen, die das Knochenmark betreffen. Es kommt zu einer Blutbildungsstörung - die Erythrozyten bilden sich nicht mehr aus Retikulozyten, sondern aus mutierten Stammzellen. Durch den gestörten Reifungsprozess von Erythrozyten entstehen nun funktionsunfähige Zellen. Die Blutbildungsstörung betrifft allerdings nicht nur die Erythrozyten, sondern auch die Blutgerinnung. Zusätzlich können die neutrophilen Granulozyten (spezielle Zellen der Immunabwehr) vermindert sein.
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Darüber hinaus können Mangelerscheinungen, wie ein Eisenmangel, zu einer erniedrigten Retikulozytenzahl führen. Der Körper ist nicht mehr in der Lage die Blutbildung aufrechtzuerhalten, da notwendige Nährstoffe fehlen. Auch eine perzinöse Anämie, also eine Blutarmut, die durch einen Vitamin- B12- oder Folsäuremangel bedingt ist, führt zu gleicher Symptomatik.
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