Die Tyrosinkinase ist ein spezielles Enzym, welches weitere Proteine durch die sogenannte Phosphorylierung aktivieren bzw. auch inaktivieren kann. Dadurch reguliert das Enzym lebenswichtige Signalwege. Bei einer Dysregulation kann es zu einem vermehrten Zellwachstum kommen und so eine Tumorentstehung begünstigen.
Unter Tyrosinkinase fasst man eine spezifische Gruppe an Enzymen zusammen, welche in biochemischer Hinsicht funktionell den Proteinkinasen zugeordnet werden. Proteinkinasen übertragen reversibel (Möglichkeit der Rückreaktion) Phosphatgruppen auf die OH-Gruppe (Hydroxygruppe) der Aminosäure Tyrosin. Die Phosphatgruppe wird dabei auf die Hydroxygruppe des Tyrosins eines anderen Proteins übertragen.
Durch diese beschriebene reversible Phosphorylierung können Tyrosinkinasen die Aktivität von Proteinen entscheidend beeinflussen und spielen daher in Signaltransduktionswegen eine wichtige Rolle. Vor allem therapeutisch, wie z.B. in der Onkologie, macht man sich die Funktion von Tyrosinkinasen als Angriffspunkt von Medikamenten zu Nutze.
Tyrosinkinasen müssen zunächst untergliedert werden in membrangebundene und nicht-membrangebundene Tyrosinkinase, um ihre dadurch ausgeübte Funktionsweise zu verstehen.
Membrangebundene Tyrosinkinasen können eine eigene Proteinkinaseaktivität aufweisen, wobei die Kinasefunktion als Teil des Rezeptorkomplexes auf der Zellmembran aktiviert wird. Andernfalls können membrangebundene Tyrosinkinasen funktionell mit dem Rezeptorkomplex verbunden sein, sich jedoch nicht in diesem direkt lokalisieren lassen. Hierbei stellen die Tyrosinkinase und der Rezeptor eine Bindung her, über welche ein bestimmtes Signal über den Rezeptor an die Kinase weitergeleitet wird.
Im Falle einer nicht-membrangebunden Tyrosinkinase befindet sich diese entweder im Cytoplasma oder dem Zellkern einer Zelle. Je nach strukturellem Aufbau mit assoziierter Funktion lassen sich verschiedene Beispiele für Tyrosinkinasen nennen. Beispiele für membrangebundene Tyrosinkinasen sind der Insulin-Rezeptor, der EGF-Rezeptor, der NGF-Rezeptor oder der PDGF-Rezeptor. Hieran kann man erkennen, dass es sich bei den Signalkaskaden mit Hilfe Tyrosinkinasen um lebenswichtige Prozesse im menschlichen Körper handelt.
Über den Insulinrezeptor wird die Insulinausschüttung aus der Bauchspeicheldrüse im Zusammenhang mit Mahlzeiten reguliert. Der EGF-Rezeptor besitzt spezifische Bindungsstellen für mehrere Liganden, worunter der EGF oder TNF-alpha erwähnenswert sind. Der EGF (epidermal growth factor) übernimmt als Proteinligand eine herausragende Rolle als Wachstumsfaktor (Zellproliferation- und differenzierung). Der TNF-alpha hingegen zählt zu den stärksten entzündungsfördernden Marker des menschlichen Körpers und spielt diagnostisch eine wesentliche Rolle bei der Diagnostik von Entzündungen.
Der PDGF wiederum ist ein von Thrombozyten (Blutplättchen) freigesetzter Wachstumsfaktor, welcher einen Wundverschluss induziert und zusätzlich nach aktuellen Forschungserkenntnissen bei der Entstehung einer pulmonalen Hypertonie mitwirkt.
Beispiele für nicht-membrangebundene Tyrosinkinasen sind die ABL1 und die Januskinasen.
Im Prinzip verläuft eine Signalkaskade mit bestimmter Information im Falle einer Tyrosinkinase immer in gleicher stereotyper Weise ab. Zunächst muss ein passender Ligand an einen Rezeptor, welcher sich meist auf der Oberfläche von Zellen befindet, binden. Diese Verknüpfung wird in der Regel über eine kongruente Proteinstruktur von Ligand und Rezeptor (Schlüssel-Schloss-Prinzip) oder über die Bindung an bestimmte chemische Gruppen des Rezeptors (Phosphat-, Sulfatgruppen etc.) hergestellt. Durch die Verknüpfung ändert sich die Proteinstruktur des Rezeptors. Im Speziellen bei Tyrosinkinasen bildet der Rezeptor Homodimere (zwei identische Protein-Untereinheiten) oder Heterodimere (zwei voneinander verschiedene Protein-Untereinheiten). Durch diese sog. Dimerisierung kann es zu einer Aktivierung von Tyrosinkinasen kommen, welche wie bereits oben erwähnt, direkt im Rezeptor oder an der cytoplasmatischen Seite (zum Zellinneren gerichtet) des Rezeptors lokalisiert sind.
Durch die Aktivierung werden Hydroxygruppen von Tyrosinresten des Rezeptors mit Phosphatgruppen verknüpft (Phosphorylierung). Durch diese Phosphorylierung werden Erkennungsstellen für intrazellulär lokalisierte Proteine geschaffen, die im Folgenden daran binden können. Dies tun sie über spezifische Sequenzen (SH2-Domänen). Nach erfolgter Bindung an die Phosphatgruppen werden im Weiteren hoch komplexe Signalkaskaden im Zellkern angestoßen, wobei es wiederum zu Phosphorylierungen kommt.
Festzuhalten ist, dass über die Phosphorylierung durch Tyrosinkinasen die Aktivität von Proteinen in beiden Richtungen beeinflusst werden kann. Zum einen können diese aktiviert, zum anderen jedoch auch inaktiviert werden. So wird ersichtlich, dass es bei einer Dysbalance der Tyrosinkinaseaktivität zu einer Überstimulation von Wachstumsfaktoren-assoziierten Prozessen kommen kann, wodurch Körperzellen letztendlich verstärkt vermehren und sich entdifferenzieren (Verlust des zellulären genetischen Materials) können. Dies sind die klassischen Prozesse einer Tumorentstehung.
Aber auch an der Entstehung von Diabetes mellitus (Insulinrezeptor), Arteriosklerose, pulmonaler Hypertonie, bestimmten Leukämieformen (v.a. CML) oder dem nicht-kleinzelligen Bronchialkarzinom (NSCLC) spielen defekte Regulationsmechanismen von Tyrosinkinasen eine entscheidende Rolle.
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Der Tyrosinkinaserezeptor stellt einen membranständigen, also einen in der Zellmembran verankerten Rezeptor dar. Strukturell handelt es sich hierbei um einen Rezeptor mit Transmembrankomplex. Dies bedeutet, dass der Rezeptor durch die gesamte Zellmembran hindurch zieht und darüber hinaus noch eine extra- und intrazelluläre Seite besitzt.
Auf der extrazellulären Seite , der alpha-Untereinheit, bindet der spezifische Ligand an den Rezeptor, während sich an der intrazellulären Seite, der ß-Untereinheit, das katalytische Zentrum des Rezeptors befindet. Das katalytische Zentrum stellt den aktiven Bereich des Enzyms dar, wo spezifische Reaktionen ablaufen.
Wie oben bereits erwähnt, setzt sich der Rezeptor strukturell meist aus zwei Proteinuntereinheiten zusammen (Dimer).
Beim Insulinrezeptor z.B. binden dadurch die beiden alpha-Untereinheiten den Liganden Insulin. Nach Ligandenbindung werden an spezifische Tyrosinreste (Hydroxygruppen) Phosphatgruppen (sog. Phosphorylierung) gebunden. Dadurch wurde die Tyrosinkinaseaktivität des Rezeptors generiert. Im Folgenden können weitere Substratproteine (z.B. Enzyme oder Zytokine) im Zellinneren über eine erneute Phosphorylierung aktiviert oder inaktiviert werden und dadurch Einfluss auf die Zellproliferation- und differenzierung genommen werden.
Bei sog. Tyrosinkinasehemmern (auch: Tyrosinkinase-Inhibitoren) handelt es sich um relativ neuartige Medikamente, durch welche eine defekte Tyrosinkinaseaktivität gezielt behandelt werden kann. Sie werden den Chemotherapeutika zugeordnet und haben ihren Ursprung in den späten 90er- bzw. frühen 2000er-Jahren. Sie können in verschiedene Generationen klassifiziert werden und finden Einsatz bei der Behandlung von malignen Erkrankungen.
Funktionell können spezifische Prozesse von dysbalancierten Tyrosinkinaseaktivitäten unterbunden werden. Prinzipiell sind hierbei vier verschiedene Wirkmechanismen möglich. Neben dem Konkurrieren mit ATP ist zusätzlich die Bindung an die phosphorylierende Einheit des Rezeptors, am Substrat oder allosterisch außerhalb des aktiven Zentrums möglich. Ausgelöst wird die Wirkung der Tyrosinkinashemmer durch eine Bindung an den EGF-Rezeptor und die folgende Hemmung der enzymatischen Aktivität der Tyrosinkinasen.
Medizinhistorisch errang die Entdeckung des Wirkstoffes Imatinib als Tyrosinkinaseinhibitor eine herausragende Position. Er wird spezifisch bei der chronisch-myeloischen Leukämie (CML) eingesetzt, wobei dieser hier die durch eine Chromosomenfusion (Philadelphia-Chromosom durch Fusion aus Chromosom 9 und 22) pathologisch entstandene Tyrosinkinaseaktivität unterdrückt.
In den letzten Jahren wurden einige weitere Tyrosinkinasehemmer entwickelt. Die aktuell bestehende 2. Generation enthält etwa zehn Tyrosinkinasehemmer.
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Eingesetzt werden Tyrosinkinasehemmer bei verschiedenen malignen Erkrankungen. Imatinib findet seinen Einsatz im Speziellen bei der Chronisch myeloischen Leukämie. Weitere Einsatzmöglichkeiten sind das nicht-kleinzellige Bronchialkarzinom (NSCLC), der Brustkrebs und Darmkrebs.
Aufgrund des sehr selektiven Angriffsmechanismus der Tyrosinkinasehemmern sind sie in der Regel besser verträglich als die herkömmlichen Chemotherapeutika. Dennoch ist auch hier im Einzelnen mit Nebenwirkungen zu rechnen.
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