Die Ursachen, die zur Entstehung und Entwicklung einer Legasthenie beitragen sind vielfältig. Es gibt nicht DIE EINE Ursache, sondern eine Vielzahl ursächlicher Probleme, die zur Entstehung beitragen können. Inwiefern mögliche ursächliche Faktoren zutreffen und schließlich auslösenden, begleitenden oder verstärkenden Charakter haben, ist individuell zu bewerten. Unterschieden wird auf Ebene zweier Kategorien, den sozialen Faktoren und den konstitutionellen Ursachen.
Legasthenie, Dyslexia, Dyslexie isolierte oder umschriebene Lese-RechtschreibSchwäche, Lese- Rechtschreibstörung, LRS, Teilleistungsschwäche, Teilleistungsstörung.
Legastenie, Dyslexi
Mit der Legasthenie verhält es sich ähnlich wie mit anderen Lernproblemen auch. Es gibt nicht DIE EINE Ursache, die für die Entstehung der Problematik verantwortlich gemacht werden kann.
Die Ursachen für die Entstehung einer Legasthenie sind vielfältig und im Einzelfall zu ermitteln.
Im Laufe der Legasthenieforschung wurden viele Ursachen diskutiert und teilweise auch wieder verworfen. Heute geht man davon aus, dass im Hinblick auf die Teilleistungsschwäche Legasthenie, die nur einen Teil der Kinder umfasst, die Probleme im Lesen und Rechtschreiben haben, die Ursachen in den nachfolgend genannten Bereichen zu finden sind.
Wir verweisen an dieser Stelle noch einmal auf die begriffliche Unterscheidung der beiden Bereiche: Legasthenie und LRS. Während die LRS (= Lese- Rechtschreibschwäche) alle Kinder mit Problemen im schriftsprachlichen Bereich umfasst, fallen unter den Begriff “Legasthenie” nur jene Kinder, die bei normaler bis überdurchschnittlicher Intelligenz ausschließlich Probleme im Bereich des Lesens- und Rechtschreibens haben. Die Legasthenie stellt somit nur einen Teilbereich der LRS dar.
Unabhängig von der begrifflichen Unterscheidung benötigen alle Kinder unabhängig von den Ursachen eine gezielte und individuell passende Förderung.
Allgemeine Hinweise zu den Ursachen einer Legasthenie
Entsprechend der langen Historie mit vielen unterschiedlichen, sich teilweise sogar widersprechenden Aussagen, können Ursachen in verschiedenen Bereichen benannt werden. Inwiefern sie zutreffen und schließlich auslösenden, begleitenden oder verstärkenden Charakter haben, ist individuell zu bewerten.
Unterschieden werden kann zwischen:
1. Sozialen Faktoren
2. Konstitutionellen Ursachen
Insbesondere nach dem zweiten Weltkrieg bis in die 70er Jahre hinein, suchte man die Ursachen in erster Line im Bereich soziale Herkunft und Erziehung. Damit verbunden waren auch die Forschungsergebnisse in den USA, die der Vererbung eine große Bedeutung beimaßen.
Untersuchungen von Renate Valtin in den 70er Jahren, die die Ursachen im Hinblick auf die Ursache einer Legasthenieentstehung untersuchten, ergaben, dass zwar ein Zusammenhang zwischen den Begleitfaktoren des häuslichen Umfeldes wie:
besteht, es sich hierbei aber vielmehr um verstärkende Faktoren als um Ursachenbereiche handelt. Diese Feststellung ist vergleichbar mit der Ursachenforschung im Bereich des Aufmerksamkeitsdefizitsyndroms: Der Erziehungsstil alleine ist nicht ursächlich für die Ausbildung des Syndroms verantwortlich, es kann aber die Faktoren verstärken und unter Umständen eine Therapie erschweren.
Nachdem man den Eltern die Schuld nicht hundertprozentig in die Schuhe schieben kann, rückte die Schule in das Kreuzfeuer der Kritik. Untersuchungen in dieser Hinsicht finden ebenfalls heute noch statt, allerdings lag der Forschungsschwerpunkt in den 70er und 80er Jahren. Ursachen im Bereich der Schule wurden in unterschiedlichen Bereichen angesiedelt.
Historisch unterschieden werden kann zwischen:
Synthetischen Methoden, die von Buchstaben, bzw. vom Laut ausgehen:
und
Analytischen Methoden, die vom ganzen Wort, bzw. vom ganzen Satz ausgehen:
Da die Kritik der einen Methode der Vorteil der anderen Methodik war, begann man nach einer endlosen Diskussion um die potentiell bessere Methodik damit, beide Methoden miteinander zu verbinden um sowohl das lautliche als auch das inhaltliche und somit sinnerfassende Lesen zu fordern und zu fördern.
Diese Methodenintegration hat sich durchgesetzt und beim Begutachten heutiger Fibeln und deren didaktischen Grundlagen fällt auf, dass viele Elemente auf den ursprünglichen Methoden basieren. Vergleichbar ist die Methodenintegration mit einem “Herauspicken von Rosinen” frei nach der Devise: Man nehme von allem das Beste.
Leider konnte auch die Methodenintegration das Problem nicht lösen, dass immer noch einige Schüler Probleme beim Erlernen des Lesens und Schreibens haben. Dies impliziert, dass die Methodik als solche nicht unbedingt ursächlich in Frage kommt.
Was ist darunter zu verstehen?
Unter konstitutionellen Ursachen verstehen wir alle Ursachen, die auf genetisch, körperlich oder seelisch für die Entstehung einer Legasthenie in Frage kommen können. Hierunter fallen beispielsweise
Alle genannten Faktoren werden nachfolgend beschrieben.
Bereits Hinshelwood machte Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts darauf aufmerksam, dass manche Familien von der Problematik der “kongenitalen Wortblindheit” verstärkt betroffen sind, sich die Problematik in manchen Familien somit häuft. Im Rahmen der Ursachenforschung fand man insbesondere durch Zwillingsstudien und Familienuntersuchungen heraus, dass
Mittlerweile weiß man, dass die Problematik vererbt werden kann. Man geht von einem autosomal - dominanten Erbgang aus. Das Wort “autosomal” bedingt, dass die Vererbung über ein Autosom (= Geschlechtschromosom) erfolgt. Von seiten der Mutter und des Vaters besitzt jeder Mensch eine Kopie aller autosomalen Gene. Ein Gendefekt von einer Seite - sei es vom Vater oder der Mutter - kann nicht ausgeglichen werden, sodass es zur Ausbildung des Merkmales beim Kind kommt. Bezogen auf die Legasthenie bedeutet das, dass ein Hauptgen auf ein Chromosom einwirken und die Legasthenie ausbilden kann. Es muss also nur ein Elternteil von der Legasthenie betroffen sein, wobei eine Weitervererbung nicht zwangsläufig stattfinden muss. Derzeit ist noch nicht genau lokalisiert, auf welches Chromosom das Hauptgen einwirkt. Zur Diskussion stehen Chromosom 1, 2, 6 und 15.
Die Abkürzung MCD (= minimale cerebrale Dysfunktion) steht für sämtliche Störungen im Bereich der Hirnfunktion, die aufgrund unterschiedlicher Ursachen vor, während oder nach der Geburt (= prä-, peri- und postnatal) entstanden sind.
Speziell in den siebziger Jahren wurden minimale cerebrale Dysfunktionen als Sammelbegriff übermäßig häufig als Ursache von Lernproblemen anerkannt. Frühkindliche minimale Hirnschädigungen können pränatal, also vorgeburtlich beispielsweise durch Infektionskrankheiten der Mutter, durch Blutungen oder durch Fehler in der Ernährung während der Schwangerschaft entstehen. Hierzu zählt in besonderer Weise regelmäßiger Alkohol-, bzw. Nikotinkonsum der werdenden Mutter, wodurch das Stammhirn (Thalamus) gefährdet ist, sich nicht vollständig ausprägen zu können.
Unter den Sammelbegriff MCD fallen aber auch sämtliche frühkindlichen Hirnschädigungen, die während des Geburtsvorgang (= perinatal) eintreten. Dazu zählt in besonderer Weise der Sauerstoffmangel während der Geburt, oder auch diverse Geburtsverzögerungen infolge von Lageanomalien.
Zu den typischen postnatalen Ursachen für die Ausbildung minimaler cerebraler Dysfunktionen zählen typischerweise Unfälle, Infektionskrankheiten oder Stoffwechselerkrankungen des Kindes im Säuglings- und Kleinkindalter.
Darüber hinaus zeigen verschiedene Untersuchungen, dass zu früh geborene Kinder (= Frühchen) mit einem zu geringen Geburtsgewicht als Spätfolge häufig eine Legasthenie ausbilden. Vermutet wird auch hier ein Zusammenhang mit der erhöhten Wahrscheinlichkeit minimaler, cerbraler Hirnreifestörungen bei zu früh geborenen Kindern. Gerade im Bereich der Frühdiagnostik sollte daher auf die zu frühe Geburt hingewiesen werden, damit diese Spätfolgen erkannt und darauf adäquat reagiert werden kann.
Im Rahmen der Diagnostik sollte daher auf diese frühe Geburt verwiesen werden, in der Regel werden diese zeitlichen Bereiche generell berücksichtigt. Es empfiehlt sich daher, bei der Diagnosestellung sowohl den Mutterpass als auch die Untersuchungsergebnisse der U-Untersuchungen des Kindes bereit zu stellen, da sie wichtige Aussagen im Hinblick auf die Entwicklung und Ursachenabgrenzung liefern können.
Der Begriff der zentralen Fehlhörigkeit muss vom Begriff der Schwerhörigkeit distanziert gesehen werden. Daher ist die zentrale Fehlhörigkeit mit den typischen Hörtests, die auch im Rahmen der U - Untersuchungen durchgeführt werden, nicht feststellbar.
Kinder, die unter einer zentralen Fehlhörigkeit leiden, schaffen es nicht oder nur schwer, Nebengeräusche von den für sie wichtigen Hauptgeräuschen (Unterhaltung, ...) zu trennen, bzw. auszuschalten.
Gerade im Klassenraum oder im Gruppenraum des Kindergartens sind Nebengeräusche kaum vermeidbar, so dass wichtige Anweisungen, Erklärungen, ... nur schwer wahr- und aufgenommen werden können.
Die visuelle Wahrnehmungsfähigkeit umfasst folgende Bereiche:
Damit die visuelle Wahrnehmungsfähigkeit adäquat ausgebildet werden kann, müssen verschiedene Voraussetzungen erfüllt werden:
Visuelle Wahrnehmungsschwächen sind ebenso wie die zentrale Fehlhörigkeit nicht mit den typischen Tests der U - Untersuchungen nachweisbar. Diese müssen durch zusätzliche Maßnahmen ergänzt werden. Nicht zuletzt deshalb bezeichnet man diese Schwächen als “diskrete okuläre Störungen”.
Durch gezielte Beobachtungen können erste Anzeichen einer visuellen Wahrnehmungsschwäche erkannt und diagnostiziert werden.
Anatomie Auge
Viele lese- rechtschreibschwache Kinder weisen bei genauer Betrachtung in ihrer Entwicklung Rückstände auf. Die schulischen Probleme, die infolgedessen auftreten sind auf die Tatsache zurückzuführen, dass diese Kinder bei Schuleintritt noch nicht in allen erforderlichen Bereichen die nötige Reife entwickelt haben.
Im Hinblick auf die Entwicklungsrückstände muss unterschieden werden zwischen:
Oftmals wird der geistig - seelischen Entwicklung bei der Einschulung nicht genug Rechnung getragen. Immer sollte zur Beurteilung der geistig - seelischen Entwicklung eines Kindes mindestens folgende Bereiche hinterfragt werden:
Durch die verminderte Konzentrations- und Aufmerksamkeitsfähigkeit entstehen in schulischen Bereichen häufig Lücken und Schwächen, die zur problematischen Situation erschwerend hinzu kommen.
Prinzipiell ist die Kombination Legasthenie und ADS, bzw. ADHS möglich und denkbar. Häufiger und demnach wahrscheinlicher ist es allerdings, dass schulische Probleme infolge der verminderten Konzentrations- und Aufmerksamkeitsfähigkeit entstehen und sich somit auch auf andere Bereiche (z.B. Rechnen) ausdehnen. In diesem Fall liegt dann keine Teilleistungsschwäche (Legasthenie) vor, sondern eher eine Lese- Rechtschreibschwäche (LRS) .