Ein postoperatives Delir wird durch die Narkose verursacht. Die Symptome können sehr unterschiedlich sein. Einige Patienten sind sehr unruhig und verwirrt, andere wiederum sind total ruhig und bewegungslos. Risikofaktoren sind lange OP's wie beispielsweise eine Herz-OP oder ein höheres Alter.
Das postoperative Delir ist ein akuter meist vorübergehender Verwirrtheitszustand und wird auch als Durchgangssyndrom oder akutes organisches Psychosyndrom bezeichnet. Es tritt bei 5-15% aller Patienten auf. Dabei sind gleichzeitig verschiedene Leistungen des Gehirns eingeschränkt. Es kommt zu Veränderungen im Bewusstsein, Denken, Bewegen, Schlafen und fühlen. Es betrifft vor allem Ältere Patienten, kann sehr unterschiedlich ausgeprägt sein und wechselt im Verlauf.
Von sehr unruhigen und teils aggressiven bis sehr stillen und kaum ansprechbaren Patienten zeigen sich alle Varianten des Delirs.
Das postoperative Delir lässt sich meist nicht auf eine spezifische Ursache zurückführen. Es ist meist eine Kombination aus verschiedenen Faktoren. Im Rahmen eines Krankenhausaufenthalts und Planung einer Operation werden oft Medikamente an oder abgesetzt. Diese Veränderungen können im Verlauf ein postoperatives Delir auslösen.
Mangelnde Sauerstoffzufuhr zum Gehirn bei beatmeten Patienten, Organversagen (Lunge, Herz, Leber, Niere), sowie Grunderkrankungen wie schwere Infektionen stellen weitere Ursachen dar. Veränderungen im Elektrolyt-, sowie Säure-Base-Haushalts müssen während einer Operation streng überwacht und schnellstmöglich ausgeglichen werden. Ältere Patienten mit bestehenden psychischen Erkrankungen z.B. Demenz können sich oft an neue Situationen schlecht anpassen. Durch die Veränderung der Umgebung kann sich der Verwirrtheitszustand verschlimmern.
Informieren Sie sich hier rund über das Thema: Durchgangssyndrom (Delir).
Herzchirurgische Patienten zeigen besonders häufig ein postoperatives Delir. In manchen Studien wird von bis zu 46% der Patienten gesprochen. Vor allem bei Eingriffen mit Herz-Lungen-Maschine kommt es zu erheblichen Veränderungen im Kreislaufsystem, die durch den Anästhesisten ausgeglichen werden müssen. Herzchirurgische Patienten haben oft eine niedrige Auswurfleistung des Herzens, was einen Sauerstoffmangel im Gehirn und ein niedrigen Blutdruck zur Folge hat. Beides Risikofaktoren für ein Delir.
Außerdem weisen Sie ein höheres Serum-Kortisol durch Stressreaktionen und erhöhte Entzündungsparameter durch den großen und langen operativen Eingriff auf. Auf Grund der komplexen Operationen kommt es vermehrt zu postoperativen Komplikationen.
Patienten auf Intensivstation haben schwerwiegende oft lebensbedrohliche Grunderkrankungen und oft große Operationen hinter sich. Die Organfunktionen sind oft eingeschränkt und werden teilweise von Maschinen übernommen. Dies verlangt dem Körper viel Energie ab, der Sauerstoffverbrauch ist erhöht und die Gefahr einer Mangelversorgung und die Entstehung toxischer Stoffe im Körper ist deutlich erhöht.
Die Schmerztherapie stellt einen sehr wichtigen Faktor dar, vor allem bei sedierten Patienten hat man es oft schwer Schmerzen zu erkennen. Mangelnde Schmerztherapie ist ebenfalls eine Ursache für ein Delir. Durch mangelndes Sonnenlicht (kein Fensterplatz im Intensivzimmer) und störende Geräusche durch Maschinen, Mitpatienten oder Personal ist das Ein- und Durchschlafen bzw. der gesamte Tag-Nacht-Rythmus gestört, was die Entstehung eines Delirs fördert.
Ein Großteil der Patienten, die ein postoperatives Delir entwickeln, sind >60 Jahre. Grund hierfür ist das Vorliegen mehrerer Risikofaktoren, die ein Delir begünstigen. Neben dem Alter zählen Seh-/Hörschwäche, Grunderkrankungen wie Diabetes, Bluthochdruck, Schlaganfall, Vorhofflimmern oder geistige Einschränkungen wie z.B. Demenz dazu.
Ältere Patienten nehmen zudem oft mehrere Medikamente (Polypharmazie) ein. Während/nach der Narkose werden zudem Medikamente verabreicht, die dilirant wirken können, wie z.B. Opiate und Benzodiazepine. Ältere Patienten neigen während einer Vollnarkose zu niedrigem Blutdruck, sowie niedrigem Blutzucker und Natrium. Vor allem bei alten Menschen ist es daher wichtig die Narkosedauer möglichst kurz zu halten oder wenn möglich auf Regionalanästhesie auszuweichen.
Erfahren Sie hier mehr zum Thema: Narkose bei älteren Menschen.
Das postoperative Delir entwickelt sich meist innerhalb der ersten vier Tagen nach einer Operation/Vollnarkose. Betroffene Patienten leiden meist an Orientierungslosigkeit, vor allem zeigt sich eine zeitliche und situative Verwirrung. Die Orientierung zum Ort und zur Person sind eher intakt.
Weitere Symptome sind Angst und Unruhe, Patienten reagieren in diesem Zusammenhang oft gereizt oder gar aggressiv gegenüber Pflegepersonal oder Angehörigen. Durch einen vermehrten Bewegungsdrang kommt es nicht selten zu Stürzen mit Platzwunden, Knochenbrüchen oder dem Ausrenken frisch operierter Gelenke.
In anderen Fällen ziehen sich Betroffene eher zurück, sprechen kaum und verweigern die Nahrungsaufnahme. Folgen sind Gewichtsabnahme und Exikose (Flüssigkeitsmangel), was lebensbedrohliche Folgen haben kann. Ein großer Teil der Betroffenen berichten von Halluzinationen. Das Denken ist oft deutlich verlangsamt und ungeordnet. Patienten erzählen weitschweifig, sprunghaft und antworten oft nicht konkret auf eine Frage sondern reden am Thema vorbei. Die Symptome zeigen sich vor allem abends und nachts und schwanken im Tagesverlauf, was einen gestörten Schlaf-Wach-Rythmus zur Folge hat. Dies verstärkt wiederum die Symptome.
Da die Symptome eines postoperativen Delirs sehr variabel sind und im Verlauf in ihrer Intensität stark schwanken können wird die Diagnose oft spät gestellt. Um Komplikationen wie Infekte (vor allem Harnwegsinfekte und Lungenentzündung) oder Wundheilungsstörungen zu vermeiden ist eine schnell Diagnose und zügige Therapieeinleitung wichtig!
Größtes Risiko stellt das Alter des Patienten dar. Die meisten Patienten mit postoperativem Delir sind >60 Jahren und leiden bereits vor dem Eingriff an psychischen Auffälligkeiten, wie z.B. einer Demenz oder leiden an weiteren Grunderkrankungen wie Diabetes, Bluthochdruck oder Vorhofflimmern, die für ein Delir prädispositionieren. Unterschiede zeigen sich auch in den einzelnen Fachrichtungen. Überdurchschnittlich häufig zeigt sich ein Delir bei herzchirurgischen und intensivmedizinischen Patienten.
Ein weiterer Risikofaktor ist die Einnahme verschiedener Medikamente, sogenannte dilirogene Medikamente wie z.B. Amitryptilin, Atropin, Amantadin, Baclofen, Olanzapin, trizyklische Antidepressiva. Eine gestörte Sauerstoffversorgung des Gehirns, Flüssigkeitsmangel und Elektrolytstörungen, sowie Mangelernährung begünstigen ebenfalls die Entstehung eines Delirs.
Lesen Sie auch den Artikel: Nachwirkungen einer Narkose.
Eine schnelle und sichere Diagnose des postoperativen Delirs und eine sofortige Therapie ist für den weiteren Krankheitsverlauf entscheidend. Durch die variablen Symptome ist dies jedoch nicht immer ganz einfach. Deshalb wurde ein Algorithmus entwickelt um schneller eine Diagnose stellen zu können. Der Algorithmus (Confusion Assessment Method) umfasst vier Kriterien: unstrukturiertes Denken, fehlende Aufmerksamkeit, Bewusstseinsveränderungen und Fluktuationen (Schwankungen).
Desweiteren wird der Grad der Sedierung erfasst: sehr streitlustig, agitiert (zieht Drainagen, Katheter), unruhig, aufmerksam, schläfrig, leicht sediert reagiert auf Ansprache, tief sediert reagiert auf Berührung, nicht erweckbar.
Es muss außerdem immer berücksichtigt werden ob der geistige Zustand bereits vor der Operation eingeschränkt war und in welchem Rahmen sich dieser nach der Narkose verändert hat. Besonders schwierig ist die Diagnose eines hypoaktiven Delirs bei dem sich der Patient zurück zieht und viel schläft. Im hektischen klinischen Alltag gehen diese Patienten schnell unter.
Die Therapie setzt sich aus verschiedenen Maßnahmen zusammen. Bei allen älteren oder allgemein Patienten auf Intensivstation sollten Grundmaßnahmen zum Erhalt der Orientierung (Brille, Hörgerät) durchgeführt werden. Eine regelmäßige und ausgedehnte Mobilisation, die Vermeidung einer Dehydratation, sowie eine ausgewogene Ernährung und der Erhalten des Schlaf-Wach-Rhythmus kann das Entstehen eines Delirs verhindern oder den Verlauf deutlich verbessern. Eine individuell angepasste Schmerztherapie und Sauerstoffgabe kann ebenfalls den Verwirrtheitszustand verbessern
Eine rechtzeitige Therapie der Grunderkrankung z.B. Antibiotikagabe bei Sepsis hat positiven Einfluss auf den psychischen Zustand.
Die medikamentöse Therapie eines postoperativen Delirs gestaltet sich oft schwierig. Kann man als Auslösenden Faktor ein bestimmtes Medikament identifizieren, muss dieses Medikament sofort abgesetzt und auf eine andere Substanz ausgewichen werden. Die Gabe von Neuroleptika zur Prophylaxe bei älteren Patienten wird vor herzchirurgischen Operationen in verschiedene Studien diskutiert. Hier zeigt sich z.B. Olanzapin als durchaus wirksam, ist aber nicht offiziell dafür zugelassen (off-lable-use). Antipsychotika wie Haloperidol in Kombination mit Quetiapin, sowie Risperidon oder Olanzapin sind ebenfalls nicht offiziell zugelassen werden aber dennoch teilweise verwendet, allerdings nur unter strenger EKG Kontrolle.
Mehr Informationen über Neuroleptika finden Sie hier.
Angehörige erkennen oft als erstes wenn mit einer bekannten Person „etwas nicht stimmt“. Das postoperative Delir kann sich langsam oder als untypische Variante entwickeln, sodass Ärzte und Pflegepersonal die Diagnose erst später stellen können. Sprechen Sie, als Angehörige, bei Verdacht mit dem zuständigen medizinischen Personal und schildern sie die beobachteten Veränderungen. Ist die Diagnose bereits gestellt, ist es wichtig für die betroffene Person da zu sein. Das mitbringen von aktuellen Fotos oder das abspielen von Lieblingsmusik kann helfen die Orientierung wieder zu erlangen. Reagiert der Angehörige nicht, anders als erwartet oder beharrt auf einer Vorstellung, seien sie nachsichtig, diskutieren sie nicht. Versuchen sie es besser zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal oder lenken sie das Gespräch auf ein anderes Thema.
Bei aggressivem Verhalten ist vor allem auch der Eigenschutz wichtig, versuchen sie nie ihren Angehörigen fest zu halten, sie können ihn oder sich selbst sehr verletzten. Versuchen sie gelassen zu bleiben und nehmen sie nichts persönlich, meistens bildet sich das Delir nach wenigen Tagen zurück.
Mehr Informationen rund um das Thema Delir finden Sie hier:
Eine Übersicht aller Themen der Anästhesie finden Sie unter: Anästhesie A-Z.