Hochdosiertes Vitamin D - wann sinnvoll, wann gefährlich?

Im Normalfall bildet der Körper genügend Vitamin D. Hierzu bedarf es jedoch einer ausreichenden UV-B Exposition der Haut. Dies ist in den Wintermonaten häufig nicht gegeben und so kann es zu einem Vitamin D-Mangel kommen. Eine Substitution kann sinnvoll sein, die Nebenwirkungen sollten allerdings ebenfalls beachtet werden.

Hochdosiertes Vitamin D - wann sinnvoll, wann gefährlich?

Was ist Vitamin D?

Vitamin D ist ein Oberbegriff für die sogenannten Calciferole – das sind fettlösliche Vitamine. Ihre wichtigsten Vertreter sind die Vitamine D3 und D2

Vitamin D kommt eine besondere Bedeutung im Zusammenhang mit unserem Knochenstoffwechsel zu – denn es hilft dabei, dass die wichtigen Mineralstoffe Calcium und Phosphat aus dem Darm aufgenommen und in den Knochen eingebaut werden können.

Im Normalfall bildet unser Körper bei ausreichender UV-B-Strahlung auch genügend Vitamin D. In Deutschland ist das aber aufgrund der geografischen Lage nur von März bis Oktober der Fall. Was ist dann mit der Zeit dazwischen? Nun, in der Regel ist es uns möglich, in der „sonnigen Zeit“ genügend Vitamin D zu bilden, sodass wir für die „schattigen Tage“ einen ordentlichen Speicher haben.

Wie kommt es zu einem Vitamin-D-Mangel?

Es sind aber weitere Faktoren dafür verantwortlich, ob wir überhaupt dazu imstande sind, genug Reserven zu bilden. Dazu gehören u. a.:

  • Klima

  • Höhenlage

  • Luftverschmutzung

  • Dauer des Sonnenscheins

  • Erkrankungen von Magen, Darm, Leber, Nieren

  • Medikamenteneinnahme (bspw. bestimmte Epilepsie- und Krebs-Medikamente)

  • Kleidungsgewohnheiten (bspw. aus religiösen Gründen verhüllt)

Was ist eine Vitamin-D-Hochdosistherapie?

Pauschal ist diese Frage nicht zu beantworten, da auch in der Forschung keine Einigkeit darüber herrscht, wann von einer Hochdosistherapie zu sprechen ist. Allerdings ist den Mengen stets gemein, dass sie die vom Bundesamt für Risikobewertung als maximale Tageszufuhr empfohlenen Menge von 800 i. E. (internationale Einheiten) weit überschreiten. 

Bekanntheit erlangte das Konzept der Hochdosistherapie mit Vitamin D vor allem durch den brasilianischen Arzt Cicero Galli Coimbra und das nach ihm benannte Coimbra-Protokoll. Dieses kommt v. a. bei Multipler Sklerose zum Einsatz und sieht Gaben von zum Teil 80.000 i. E. Vitamin D pro Tag vor. Die Annahme dahinter: An Multipler Sklerose erkrankte Personen haben eine Vitamin-D-Resistenz. Neben den extrem Mengen Vitamin D bekommen Behandelte verschiedene Mikronährstoffe, müssen sich an eine calciumarme Diät halten, viel Wasser trinken und häufig Sport treiben. Problematisch: Studien konnten den Nutzen dieser Therapieform bis heute nicht belegen – die Erfolge basieren bisher lediglich auf Erfahrungsberichten. Wichtig: Diese Therapieform wird ärztlich überwacht und sollte keineswegs eigenmächtig durchgeführt werden.

Allgemein kann man derlei Hochdosistherapien also durchaus skeptisch betrachten. Wir beleuchten im Folgenden einmal knapp den Nutzen von hochdosiertem Vitamin D bei verschiedenen Erkrankungen.

Herz-Kreislauf-Erkrankungen und hochdosiertes Vitamin D

Diverse Studien haben schon auf einen Zusammenhang zwischen einem verringerten Vitamin-D-Status und einem erhöhten Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen hingewiesen. Mögliche Verbindungen bestehen zwischen dem Vitamin und Erkrankungen wie:

  • Herzinfarkt

  • Schlaganfall

  • Herzschwäche

  • Bluthochdruck

  • Herzrhythmusstörungen 

  • Thrombose

Aus diesem Grund wurde in der Forschung bspw. untersucht, wie sich eine monatliche Hochdosis von 200.000 i. E. auf die Entwicklung von Erkrankungen des Herz-Kreislauf-Systems auswirkt. Im Ergebnis ergab sich kein signifikanter Unterschied zwischen der Vitamin-D-Gruppe und der Kontrollgruppe. Angesichts dessen schlussfolgern die Forscher zwar, dass eine monatliche Hochdosis keinen wirklichen Nutzen zeigt, um der Entwicklung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen vorzubeugen. Allerdings gestehen sie sich auch ein, dass eine wöchentliche oder gar tägliche Hochdosis diesbezüglich noch untersucht werden müsse. 

Ähnliche Ergebnisse förderten Forscher bei vergleichbarem Studiendesign im Zusammenhang mit ausschließlich Bluthochdruck zutage. Auch hier konnte nach einer Langzeitgabe von 100.000 i. E. pro Monat über 1 ½ Jahre keine signifikante Besserung festgestellt werden, wenn Patienten nicht schon vorher einen Vitamin-D-Mangel hatten.

Knochengesundheit und hochdosiertes Vitamin D

Der am häufigsten mit Vitamin D in Verbindung gebrachte Aspekt ist die Knochengesundheit. Dieser Zusammenhang wurde auch in der jüngeren Vergangenheit immer wieder in Studien untersucht, u. a. im Kontext von hochdosierten Gaben Vitamin D. Bis heute gilt nämlich z. B. der Zusammenhang zwischen einer Vitamin-D-Supplementierung und der Knochendichte bei älteren Personen als nicht ausreichend untersucht, teilweise liefern Studien widersprüchliche Ergebnisse. 

Auch 2019 haben Forscher diesen Umstand untersucht und dazu drei verschiedene Kontrollgruppen monatlich mit Vitamin D in unterschiedlichen Mengen versorgt. Nach einem Jahr konnten keine wesentlichen Unterschiede in der Knochendichte ausgemacht werden. Letztlich stellte sich aber auch heraus, dass eine monatliche Einnahme von bis zu 48.000 i. E. Vitamin D als sicher einzustufen ist, denn keiner der Probanden ließ schwerwiegende Nebenwirkungen erkennen. 

Potenziell negative Auswirkungen haben sich in einer anderen Studie mit dem gleichen Untersuchungsgegenstand ergeben. Dort erhielten drei verschiedene Kontrollgruppen entweder 400, 4.000 oder 10.000 i. E. Vitamin D täglich. In den höher dosierten Gruppen konnten nach Ablauf der Untersuchungen sogar geringere Knochendichten in der Speiche gemessen werden. Die Forscher schlussfolgern daher, dass eine erhöhte Vitamin-D-Gabe keinen positiven Einfluss auf die Knochendichte hat und dass künftige Studien zeigen müssten, ob sich mehr Vitamin D vielleicht sogar negativ auf die Knochendichte auswirkt.

Dass aber nicht alle Studien negativ ausfallen, zeigt eine Untersuchung der Gebrechlichkeit älterer Personen. In dieser Studie erhielten ältere Erwachsene bis zu 4.000 i. E. täglich und es konnte festgestellt werden, dass sich ihre körperliche Leistungsfähigkeit (Laufgeschwindigkeit, Griffstärke und andere Funktionen) dadurch verbesserten. Diese positiven Ergebnisse ließen sich aber nur bei denjenigen Personen beobachten, die zu Beginn bereits als gebrechlich eingestuft worden waren.

Multiple Sklerose und hochdosiertes Vitamin D

In diesem Zusammenhang wurde das Coimbra-Protokoll auch schon von den Experten der Deutschen Multiple Sklerose Gesellschaft e. V. diskutiert. Sie sind der Meinung, dass die Studienlage für eine therapeutische Umsetzung nicht ausreichend ist und weitere kontrollierte Studien folgen müssen. Wichtig ist in diesem Zusammenhang der Hinweis, dass eine solche ultrahochdosierte Therapie keinesfalls eigenmächtig unternommen werden sollte. Nur so kann eine – wenn auch seltene – Vitamin-D-Vergiftung vermieden werden. 

Die Studienlage bei MS und Vitamin D ist widersprüchlich. In Tierversuchen konnte zum Teil sogar eine erhöhte Krankheitsaktivität beobachtet werden, wenn dauerhaft hochdosiertes Vitamin D gegeben wurde.

Demgegenüber steht aber eine groß angelegte Untersuchung aus dem Jahr 2016, deren Erkenntnisse nicht zu unterschätzen sind. Studienteilnehmer mit Multipler Sklerose, die 14.000 i. E. Vitamin D pro Tag bekamen, hatten mit 0,28 Schüben pro Jahr deutlich weniger mit der Krankheitsaktivität zu kämpfen als die Kontrollgruppe mit 0,41 Schüben pro Jahr. Außerdem konnte beobachtet werden, dass für Multiple Sklerose typische Verletzungen (hier bezeichnet als MRT-Läsionen) in der Vitamin-D-Gruppe deutlich geringer ausfielen als in der Kontrollgruppe. Hochdosiertes Vitamin D könnte also einen schützenden Effekt bei MS haben.

Kann man sich mit Vitamin D vergiften?

Ja, das ist möglich – aber sehr selten. Es wurde von Fällen berichtet, in denen es bei älteren Menschen durch eine starke Überdosierung (10.000 bzw. 50.000 i. E. pro Tag) zu Nierenversagen und Calciumüberdosierung kam. Ein betroffener 60-järiger Mann hat in der Folge eine chronische Nierenschwäche entwickelt, er ist heute dialysepflichtig. 

Ja, zu solchen Fällen kommt es selten, aber die Folgeerkrankungen sind nichtsdestoweniger zweifelsfrei auf zu hoch dosiertes Vitamin D zurückzuführen. Und mit der gesteigerten Aufmerksamkeit für Vitamin D geht auch eine erhöhte Anzahl Personen einher, die Vitamin D nehmen – demzufolge steigt potenziell auch die Zahl der Vergiftungen. Eine sogenannte Vitamin-D-Toxizität geht dann einher mit verschiedenen Symptomen, u. a.:

  • Übelkeit & Erbrechen

  • Bauchschmerzen

  • Verwirrtheit

  • häufiges Wasserlassen

  • ständiger Durst

  • Austrocknung

Vitamin D - hochdosiert supplementieren oder nicht?

Angesichts der Studienlage würden wir von einer hochdosierten Eigenbehandlung mit Vitamin D abraten. Selbst beim umstritten Coimbra-Protokoll wird die Therapie dauerhaft von einem Arzt begleitet, der regelmäßig Messungen durchführt und neu beurteilt, ob und wenn ja wie viel Vitamin D genommen werden soll. 

Natürlich gibt es aber Umstände, die eine Gabe von Vitamin D erfordern, nicht zuletzt ein festgestellter Vitamin-D-Mangel. Aber wer hat eigentlich einen Mangel?

Wer hat einen Vitamin-D-Mangel?

Laut dem Robert Koch-Institut sind hierzulande tatsächlich etwa 30 % der Menschen unterversorgt, bei Frauen nimmt die Unterversorgung mit höherem Alter statistisch zu. Diese Werte variieren allerdings stark je nach Messzeitraum – im Sommer erreicht der Mangel ein Tief bei etwa 8 %, im Winter ein Hoch bei 52 %. Angesichts dieser Zahlen urteilt die Forschungseinrichtung, dass die Versorgungssituation in Deutschland als „nicht optimal“ einzustufen ist. 

Die Folgen einer dauerhaften Unterversorgung mit Vitamin D hängen mit dem Alter zusammen. Kinder erleiden möglicherweise eine sogenannte Rachitis – bei dieser Erkrankung ist das Knochenwachstum gestört. Bei Erwachsenen hingegen kann es zur sogenannten Osteomalazie kommen, bei der Knochen sozusagen aufweichen und leichter deformierbar sind. Dies hat zur Folge, dass die Knochen leichter brechen können. Je älter wir sind, desto wahrscheinlicher ist bei einem Vitamin-D-Mangel auch die Osteoporose, auch als „Knochenschwund“ bezeichnet.

All diese Veränderungen erfordern ein therapeutisches Eingreifen, entweder durch eine Vitamin-D-Substitution oder aber einen erhöhten Aufenthalt im Sonnenlicht.

Autor: Dr. Nicolas Gumpert, Dr. Tobias Weigl Veröffentlicht: 06.03.2020 - Letzte Änderung: 18.09.2024